von Inka Grabowsky, 08.12.2022
Das schönste Virus der Welt
Lieblingsstücke, Teil 24: Im Naturmuseum in Frauenfeld schwebt es durch eine Vitrine und erklärt, warum Fledermäuse derzeit einen so ramponierten Ruf haben. Doch das Corona-Virus-Modell hat auch eine eigene erzählenswerte Geschichte. (Lesedauer: ca. 2 Minuten)
Ein zerschnittener Handball, einige Schrauben, eine Lichterkette mit Batteriebetrieb, eine alte Strumpfhose und die rote Einwickelfolie von Schoggi-Ostereiern: Das sind die Zutaten für das Modell, das im Frühjahr 2020 sehr viele Menschen zum Lachen gebracht hat, obwohl es in der Zeit gar nichts zum Lachen gab. Nachgebaut haben den Krankheitserreger Simon Engeli und Rahel Wohlgensinger von der Theaterwerkstatt Gleis 5.
«Wir waren im Lockdown und konnten nicht auftreten, aber wir wollten trotzdem etwas tun. Deshalb sind wir – wie andere auch - auf die Idee gekommen Videos zu drehen», sagt Rahel. Das Thema lag auf der Hand, oder – um im Bild zu bleiben – in der Luft. Der Schutz der Senioren war in der ersten Phase der Pandemie ein grosses Thema. «Wir haben für meine Mutter eingekauft und ihr ohne uns ihr zu nähern die Lebensmittel gebracht», so Simon. «Was dabei alles falsch laufen kann, wollten wir auf lustige Weise erklären.»
Das Virus im Video
Auf der Suche nach dem Bösen
Senioren-Puppen als potenzielle Opfer hatten die Beiden im Fundus. Den Superhelden gab es auch schon: den Plüschhund Monty, der im Alleingang das Virus bekämpfen sollte. Nur eben der «Böse» im Spiel fehlte noch. «Und einkaufen konnten wir nichts, die Läden waren ja geschlossen», erzählt Simon.
Also plünderte das Paar Schopf und Estrich, klebte, schraubte und improvisierte drauflos, bis es endlich das Modell auf ein ferngesteuertes Spielzeugauto montieren konnte und die Dreharbeiten begannen. «Wir hatten selbst viel Spass dabei», meint Rahel. «Weisst du noch, wie wir mit dem Fön die Ohren von Monty zum Fliegen gebracht haben?»
Bewährte Kooperation mit dem Naturmuseum
Die dabei entstandenen Videos kann man heute noch hier bewundern.
Zu den Zuschauern damals gehörte auch Hannes Geisser, der Direktor des Naturmuseums. Einige Monate später, im Sommer und Herbst 2020 plante er die Kabinett-Ausstellung «Die Evolutionstheorie – Fake oder Fact?».
«Damals gab es noch keine wirklich brauchbaren Modelle des Virus’ auf dem Markt – oder sie waren uns schlicht zu teuer. Da habe ich mich an das Modell der Theaterwerkstatt erinnert und um Ausleihe nachgefragt.»
Aus der Kiste ins Museum
«Wir waren überrascht, dass es jemand wollte», sagt Simon. «Bei uns wäre es ja nur in einer Kiste gelandet. Und wir arbeiten seit Jahren gut mit dem Naturmuseum zusammen.» Schon 2018 hatten sie gemeinsam «Biber the Kid» produziert und festgestellt, dass sie offenkundig den gleichen Sinn für Humor haben. Die Theaterwerkstatt verschenkte ihr Werk also.
«Das hat mich dann umso mehr gefreut», so Geisser. «Das Modell schuf nicht nur einen aktuellen Bezug, sondern hat auch einen evolutionsbiologischen Sachverhalt illustriert: In den meisten Fällen erfordern evolutive Prozesse sehr viel Zeit. Lebewesen können sich aber auch rasch verändern. Aktuell führte uns dies das Virus SARS-Cov-2 deutlich vor Augen: Immer wieder wurden und werden neue Varianten entdeckt, die überlebensfähiger zu sein scheinen als der ursprüngliche Wildtyp.»
Noch bis 5. Februar zu sehen im Naturmuseum
Für die derzeitige Fledermaus-Ausstellung (noch bis 5.Februar 2023 zu sehen) kam das Virus ein zweites Mal zum Einsatz. Diesmal erklärt es Zoonosen, also von Tieren auf Menschen übertragene Krankheiten.
Fledermäuse gelten schliesslich als die ursprünglichen Wirte des Covid-19-Virus. «Nach Ausstellungsende kommt das Modell in unsere Sammlung», so Hannes Geisser. «Es ist ein Objekt mit einer ganz besonderen Geschichte!»
Die Serie #Lieblingsstücke und wie Du mitmachen kannst
In unserer Serie #Lieblingsstücke schreiben Thurgaukultur-KorrespondentInnen über besondere Kunstwerke im Kanton. Das ist der Start für ein grosses Archiv der beliebtesten Kulturschätze im Thurgau. Denn: Wir wollen auch wissen, welches ist Dein Lieblings-Kunststück aus der Region?
Skulpturen, Gemälde, historische oder technische Exponate, Installationen, Romane, Filme, Theaterstücke, Musik, Fotografie - diese #Lieblingsstücke können ganz verschiedene Formen annehmen. Einige der vorgestellten Werke stehen im öffentlichen Raum, manche sind in Museen zu finden, andere wiederum sind vielleicht nur digital erlebbar. Die Serie soll bewusst offen sein und möglichst viel Vielfalt zulassen.
Schickt uns eure Texte (maximal 3000 Zeichen), Fotos, Audiodateien oder auch Videos von euch mit euren Lieblingswerken und erzählt uns, was dieses Werk für euch zum #Lieblingsstück macht. Kleinere Dateien gerne per Mail an redaktion@thurgaukultur.ch , bei grösseren Dateien empfehlen wir Transport via WeTransfer.
Oder ihr schreibt einen Kommentar am Ende dieses Textes oder zum entsprechenden Post auf unserer Facebook-Seite. Ganz wie ihr mögt: Unsere Kanäle sind offen für euch!
Mehr #Lieblingsstücke im Dossier: Alle Beiträge sammeln wir und veröffentlichen wir sukzessive im Rahmen der Serie. Bereits erschienene Teile der Serie sind gebündelt im Themendossier #lieblingsstücke zu finden.
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