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Der Visionär

Der Visionär
Richard Tisserand, Kurator des Kunstraum Kreuzlingen. | © Michael Lünstroth

Richard Tisserand hat den Kunstraum Kreuzlingen zu dem gemacht, was er heute ist - einer der aufregendsten Orte für zeitgenössische Kunst in der Ostschweiz. Seine neueste Idee: Grenzen sprengen. Und neue Kooperationen suchen. Gemeinsam mit der deutschen Nachbarstadt Konstanz könnte der Kunstraum noch mehr Strahlkraft entwickeln, findet Tisserand. Wir haben den 70-Jährigen bei einem Cappuccino in Kreuzlingen getroffen und über Visionen, Hoffnungen und die Unterschiede zwischen Schweiz und Deutschland gesprochen.

Herr Tisserand, der Kunstraum macht seit Jahren ein ambitioniertes Programm, das man eher in einer Grossstadt erwarten würde. Ist Kreuzlingen nicht längst zu klein für den Kunstraum?  

Klar, Kreuzlingen alleine ist zu klein für das, was wir machen. Aber Kreuzlingens grosse Chance ist die Nachbarschaft zu Konstanz. Schon jetzt kommen ziemlich viele unserer Besucher aus Konstanz zu unseren Ausstellungen. Ich höre oft von Leuten, dass das was wir machen, für sie erfrischend ist im Vergleich zu dem, was sie in Konstanz sehen können.

Unterscheidet sich der Kunstbegriff in Deutschland und der Schweiz so sehr?

Man spürt das ja schon, wenn man einen Blick über die Grenze wirft.
 Die Schweiz hatte da in dieser Hinsicht immer einen Vorsprung und das sieht man, wenn man auf den Betrieb der aktuellen Kunstszene in Konstanz schaut. 
Ein Beispiel: In Konstanz wird so gut wie nie frei kuratiert, sondern die Ausstellungen im Kunstverein sind in der Regel übernommene und es gibt vielleicht eine bis zwei kuratierte, speziell für den Ort konzipierte Ausstellungen im Jahr, aber das war es dann. Das kann man so machen, ist aber nicht meins. Ich bin lieber selbst unterwegs, schaue mir Sachen an und gehe auf Künstler zu. Mir war es immer wichtig, dass die Ausstellungen nicht beliebig sind, sondern konkret mit dem Ort zu tun haben.

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Wie laufen denn bislang die grenzüberschreitenden Kooperationen?  

Positiv war die Zusammenarbeit im Rahmen des Konziljubiläums. Bei dem Projekt „Meeting Point“ haben wir mit dem Kunstverein Konstanz zusammen gearbeitet. Da habe ich schon gedacht, man müsste mehr zusammen machen: alle drei bis vier Jahre ein gemeinsames Projekt, damit man sich besser kennenlernt. Ich glaube auch, dass es da weiteres Entwicklungspotenzial gibt. In den vergangenen Jahren gab es immer mal wieder die Idee einer gemeinsamen Kunsthalle von Kreuzlingen und Konstanz. Über den Ideenstatus ist man aber nie hinaus gekommen.  

Warum nicht?

Das weiss ich auch nicht, aber bislang konnte man sich wohl auf kein Konzept einigen. Man müsste ja zuerst mal klären, wo wollen wir inhaltliche Schwerpunkte setzen, die es nicht schon an anderen Orten gibt. Es ergibt ja keinen Sinn, beispielsweise mit Bregenz konkurrieren zu wollen. Es bräuchte eine Nische, die man für einen solchen neuen Ort entdecken könnte. Danach kann man dann die weitere Vision eines solchen Hauses entwickeln.  

Welche Nische könnte das sein?

Ich glaube, es müsste darum gehen, Räume zu schaffen, in denen man die ganze Komplexität der zeitgenössischen Kunst zeigen kann. Kunst erschöpft sich ja nicht in Malerei, da entstehen im Moment ganz viele hybride Formate. Vielleicht wäre das ein Ansatzpunkt für eine neue Kunsthalle.  

«Oft reden alte Leute wie ich über solche Visionen. Aber das nützt ja eigentlich nicht viel.»

Richard Tisserand, Kurator 

 

Also Kunst gewissermassen nochmal ganz neu denken?  

Ja. Wir müssen fest gefahrene Vorstellungen aufheben. Wir müssen aufhören mit unseren Kategorien, aufhören damit, dass dies so oder so hängen muss. Vielleicht uns auch loslösen von dem Gedanken, dass man immer Ausstellungen macht, vielleicht sind das dann eher Erlebnisräume. Das Erleben war übrigens auch immer das Prinzip des Kunstraums: Wir machen zum Beispiel keine Ausstellungskataloge, weil wir wollen, dass die Leute kommen und das erleben. Und wenn sie das verpasst haben, dann ist es weg und nicht wieder so erlebbar. Das ist unsere Haltung. Das andere Problem ist aber: Oft reden alte Leute wie ich über solche Visionen. Aber das nützt ja eigentlich nicht viel. Es müsste junge Leute geben, die diese Vision entwickeln. Wir können die Erfahrung geben, aber wenn es um Inhalte geht, muss man im Kontakt mit der jungen Kunst bleiben. Die Vision liegt doch im Spiegel der Zeit. Sie liegt darin, wie junge Leute mit Kunst umgehen. Wollen die überhaupt noch Werte schaffen? Das ist alles volatil.

Konstanz sucht Räume für zeitgenössische Kunst, Kreuzlingen hat sie längst mit dem Kunstraum. Eine Zusammenarbeit liegt da doch eigentlich auf der Hand.

Ich habe schon oft gesagt, lasst uns doch was zusammen machen, gemeinsam etwas entwickeln. Aber es gab nie wirklich eine Resonanz. Das liegt auch ein Stück weit an der Haltung bei vielen Leuten in Konstanz, die etwas mit Kunst machen. Viele von denen denken erstmal an sich und ihre Sachen. Sie sind nicht losgelöst, wollen sich nicht auf Dinge einlassen von denen man am Anfang nicht weiss, was am Ende dabei herauskommt. Da bräuchte es wohl eine Art Metamorphose, um gemeinsam etwas Neues aufzubauen.

Das heisst, einen Kunstraum Kreuzlingen Konstanz wird es auf absehbare Zeit nicht geben?

Alleine der Name, also die Erstnennung von Kreuzlingen, würde wohl viele Konstanzer erschaudern lassen (lacht). Nein, aus meiner Sicht wäre das schon eine Option. Es wäre vor allem Denkarbeit zu leisten und da geht es noch gar nicht um Geld, sondern erstmal um eine Idee.  

Wenn Konstanz wollte, wären Sie als offen für eine Kooperation?

Natürlich. Das wäre eine grosse Chance für beide Städte. Wir könnten etwas von überregionaler Strahlkraft aufbauen. Wenn Konstanz noch mal so viel investieren würde, wie wir jetzt schon haben, könnten wir ein kleines Kunsthaus schaffen.

Wie kann man das erreichen?

Ein gemeinsames Projekt würde vor allem erstmal bedeuten, dass wir sagen: Die Grenze, die reale und die in den Köpfen, gibt es nicht mehr, wir sind zusammen.  

Das wäre doch ein starkes Statement.  

Ja, das ist eine gute Idee. Das muss man sich entwickeln lassen. Der Kunstraum kann seine Erfahrung zur Verfügung stellen, aber er müsste auch genau hinhören, was die Konstanzer möchten. Das ist bislang noch nicht formuliert. Die Erwartungen müssten wir mal besprechen. Eine Grundsatzdiskussion darüber, was gemeinsam wachsen könnte, wäre wohl der erste Schritt. Mal Salon machen, Nachtessen gehen, ohne Druck und ganz offen. Eine Kerntruppe müsste erstmal denken, dann könnte man die unterschiedlichen Vorstellungen abgleichen und annähern. Hören, was der andere wünscht, wäre der erste Schlüssel für das gegenseitige Verständnis.  

«Wenn aus der Idee was werden soll, müsste sich Konstanz bewegen.»

Richard Tisserand, Kurator 

 

Wann könnte es los gehen?

Wir wären bereit. Aber wenn es was werden soll, müsste sich Konstanz bewegen. Auch im Kopf. Aber es gilt nach wie vor: Der Kunstraum ist da. Wir sind offen für neue Kooperationen. Mein spontaner Vorschlag wäre: Lasst uns sofort starten. Gründen wir einen virtuellen Kunstraum Konstanz-Kreuzlingen. Der würde dann Projekte anstossen, die den Raum Konstanz Kreuzlingen betreffen und könnte so den aktuellen Diskurs zur zeitgenössischen Kunst fördern und pflegen.

Der Kurator, der Kunstraum und die Diskussion in Konstanz

Der Kurator: Richard Tisserand (geboren 1948 in Eschenz) leitet den Kunstraum Kreuzlingen & Tiefparterre seit 2005 als verantwortlicher Kurator. Er ist aber auch selbst tätig als Künstler und hatte schon zahlreiche Ausstellungen, zuletzt in der Galerie Mera in Schaffhausen. In den vergangenen Jahren erhielt er verschiedene Auszeichnungen: Adolf Dietrich-Förderpreis (1984), Thurgauer Kulturpreis (1988) und den Preis von Eschenz (1992).

 

Der Kunstraum: Der Kunstraum Kreuzlingen wurde 1993 gegründet. Zunächst noch in der Kreuzlinger Brückenstrasse, Ende der 1990er Jahre ist der Kunstraum dann an seinen heutigen Ort an der Bodanstrasse 7 gezogen. Der Kunstraum Kreuzlingen definiert sich als Ort für den „Discours“ zeitgenössischer Kunst. Im Jahresverlauf werden fünf kuratierte monografische Projekte in Zusammenarbeit mit den Künstlern exclusiv auf die Räumlichkeiten hin entwickelt. Direkt unter dem Kunstraum gelegen, ist seit 2008 das Tiefparterre, Geschoss und Plattform für elektronische Künste und experimentelle Projekte aus deren Forschungsbereich.

 

Aussenfassade des Kunstraum Kreuzlingen. Bild: Michael Lünstroth

Die Vorgeschichte des Kunstraums: 1984 organisierten im brachliegenden Bellevue Thomas Vaterlaus, Christian Witzig, Su Meili, Toni Brunner, Thomas Onken und Kurt Schmid den riesigen Event "Kunstgrenze"1986 eröffnen Thomas Onken (legendärer Thurgauer SP-Ständerat) und Christian Witzig (früherer SP-Stadtrat Kreuzlingen) die Galerie "Kunstraum" an der Brückenstrasse. 1993 übergaben sie den Betrieb an die Thurgauische Kunstgesellschaft. Sie ist auch heute noch der Betreiber des Kunstraums. Kurator Richard Tisserand ist aber das Gesicht des Ausstellungsraums. Mit dem Kulturamt hat der Kunstraum heute eine Leistungsvereinbarung für jährlich 150'000 Franken von 2016 bis 2018. Auch die Kulturstiftung des Kantons Thurgau unterstützt immer wieder einzelne Projekte.

 

Die Diskussion in Konstanz: In der deutschen Nachbarstadt wird seit Jahren immer mal wieder über den Bau eines Kunstmuseums diskutiert. Auch Kooperationen mit Kreuzlingen waren immer mal wieder Thema. Aktuell setzt sich vor allem eine private Initiative für die Schaffung von Raum für zeitgenössische Kunst ein. In ihr sind unter anderem der Künstler Markus Brenner, der Galerist Stephan Geiger und der Journalist Siegmund Kopitzki engagiert. Das Kulturamt der Stadt Konstanz lanciert in diesem Herbst einen neuen Ort für angewandte Kunst. Im so genannten «Turm zur Katz» (früher Bildungsturm) beim Kulturzentrum sollen Fotografie-, Architektur- oder Design-Ausstellungen gezeigt werden. Über die Eignung dieser Räume für Kunstausstellungen gibt es in Konstanz unterschiedliche Auffassungen.

 

Weiterlesen: Teil 2 des grossen Interviews mit Richard Tisserand erscheint in der nächsten Woche. Dann spricht der Kunstraum-Kurator offen über das neue Kulturzentrum in Kreuzlingen in seiner Nachbarschaft, was schon funktioniert und wo es noch Nachbesserungsbedarf gibt und wie es mit dem Kunstraum in der Zukunft weitergehen könnte.

 

 

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