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von Inka Grabowsky, 21.12.2022

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Stiftungspräsident Fredy Neff (hinten), Turi Kammer und Emil Sigg neben dem grossen „Ericsson 1992“ | © Inka Grabowsky

Wer sich unter einem Telefonmuseum einen Ort mit Vitrinen und Reihen von ausgedienten Apparaten vorstellt, der wird im «Telephonica» im Greuterhof in Islikon eines Besseren belehrt. Pensionierte Fachleute erklären hier, wie Menschen sich über grosse Entfernungen verständigen – und das nicht erst seit der Erfindung des Telefons im 19. Jahrhundert. (Lesedauer: ca. 3 Minuten)

Ein riesiges Telefonmodell des «Ericsson 1892» empfängt Besucher auf dem Treppenabsatz im zweiten Stock des Greuterhofs. Offenkundig ist man an der richtigen Adresse. Von aussen verrät wenig, welche Schätze sich hier verbergen. «Laufkundschaft gibt es hier zwar nicht», sagt Fredy Neff, der Präsident der Stiftung, die das Museum trägt, «aber trotzdem sind wir zufrieden mit dem Standort.»

Von Kreuzlingen nach Islikon

Die Geschichte des Museums beginnt 1994, als eine neue Heimat für eine Telefonsammlung gefunden werden musste, die der Kreuzlinger Elektroingenieur Max Straub bis zu seinem Tod gepflegt hatte. «Nachdem die Kreuzlinger Stimmbürger die Übernahme der Sammlung abgelehnt hatten, machte sich eine Findungsgruppe der Stiftung auf die Suche», erzählt Fredy Neff.

Schliesslich konnte sie Anfang 1995 das Dachgeschoss im Greuterhof mieten. Inzwischen ist der Bestand auf 760 Exponate angewachsen: Telephonica präsentiert beispielsweise den ersten vollautomatischen Anrufbeantworter von 1946. Das Ipsophon ist 160 Kilo schwer und raumfüllend.

 

Auch das ist ein Anrufbeantworter: das Ipsophon von 1946. Bild: Inka Grabowsky

Das schwerste Gerät hier wiegt 160 Kilogramm

Hier stehen Telex-Geräte, die ans Internet angeschlossen sind, so dass man sie wie einst in Aktion erleben kann. Der fünfzigjährige Fernschreiber Siemens T 100 empfängt und druckt also SMS und Email von einem Handy aus und kann auch antworten. Münztelefone erzählen die Geschichte des Vandalismus, denn jemand hat auf sie geschossen.

«Wir zeigen zum Teil auch sehr teures Material, weil es bei Unternehmen ausgemustert wurde», so Arthur «Turi» Kammer, «alte Geräte für das Spleissen von Glasfaserkabeln zum Beispiel. Wir haben sie geschenkt bekommen.»

Greuterhof als Anziehungspunkt

Die Telekommunikationsfans freuen sich über Synergien mit dem historischen Industriedenkmal in Islikon, in dem zwischen 1777 und 1860 Stoffe gefärbt und bedruckt wurden. Jetzt bringt die Theaterwerkstatt Gleis 5 jeden Sommer Leben in den Innenhof, ansonsten wird der Greuterhof als Hotel und Restaurant mit Veranstaltungsräumen genutzt.

«Man kann hier zwei Führungen kombinieren», sagt Emil Sigg, der Marketing-Verantwortliche des Museums. «Eine zur Geschichte der Greuterhofs – inklusive eines Exkurses zur Entwicklung des Schweizer Sozialversicherungssystems – und dann eine bei uns.»

 

Das alte Telefonbuch in der Hand von Fredy Neff interessieert viele ältere Besucher. Sie suchen nach den Namen früherer Bekannter. Bild: Inka Grabowsky

Hands-on statt hinter Glas

Anfänglich hatte die Stiftung einen Architekten mit der Innengestaltung beauftragen wollen. «Aber der wollte viele Vitrinen einbauen», so Turi Kammer. «Doch die Geräte gehören nicht hinter Glas. Man muss sie fühlen, sie müssen laufen.»

Kammer war als Messebauer selbständiger Unternehmer und schwärmt für das Prinzip des inhabergeführten Museums, das Telephonica auch im Vergleich mit dem ungleich grösseren Technorama oder dem Museum für Kommunikation in Bern besonders mache. «Wir haben gute Erfahrungen mit unserem Konzept gemacht. Das Museum funktioniert über Menschen. Wir haben keine Bildschirme und keine Touchpads, dafür eben die Knochenarbeit des Erklärens. Zum Ausgleich bekommen wir dann eben auch die glänzenden Augen der Besucher zu sehen.»

Mit Führung doppelt so schön

Ein Besuch im Telefonmuseum lohne sich selbstverständlich immer, sagen die Betreiber. «Aber wer sonntags zu den normalen Öffnungszeiten kommt, der sieht einfach nur die Ausstellung. Erst bei der Führung werden die Geräte lebendig», meint Turi Kammer.

Die meisten Exponate im Museum kann man anfassen und ausprobieren, was zu denkwürdigen Erlebnissen führt. «Kinder wissen heute gar nicht mehr, wie man eine Wählscheibe bedient», so Emil Sigg. Im Greuterhof sieht man sogar, wie sich der Hebdrehwähler mit dem charakteristischen Schnarren in Bewegung setzt und eine Verbindung aufbaut.

 

Im Telphonica kann man eine Wählscheibe bedienen und dabei sehen, was der Hub-Drehwähler daraus macht. Bild: Inka Grabowsky

Kohlekörnchen im Hörer

Hier versteht man auch endlich, warum in alten Filmen Menschen auf einen Telefonhörer klopfen, wenn sie sich verhört haben. Sie schütteln Kohlekörnchen zurecht, damit der Strom besser fliesst. Und wie fühlt es sich an, das «Fräulein vom Amt» zu sein, das per Hand Verbindungen zusammensteckt? Spoiler: Ganz schön anstrengend.

Man muss sich ordentlich konzentrieren, bis der Ablauf sitzt. «Wir haben sogar noch das alte handgeschriebene Lehrbuch einer Telefonistin, das sie während ihrer Ausbildungszeit verfasste», sagt Turi Kammer.

Nachwuchs hoch begehrt

Das Konzept hat einen Nachteil: Man braucht Freiwillige, die den Funken der Begeisterung übertragen. «Der Knackpunkt ist unsere Überalterung», räumt Stiftungspräsident Fredy Neff ein. «Wir sind meist pensionierte Fachleute. Viele haben früher bei der Swisscom oder ihrer Vorläuferin gearbeitet. Jetzt müssen wir an den Wissenstransfer an die nächste Generation gehen.»

Aufgrund des technischen Fortschritts wüchsen leider keine Techniker nach, die sich mit den analogen Apparaten auskennen. Internettelefonie brauche Informatiker, nicht Fernmeldetechniker. «Und dann ist es noch schwer Menschen zu finden, die sich langfristig engagieren wollen.»

 

Einfach nur stöpseln, und schon steht die Verbindung…. Aber was wohin und in welcher Reihenfolge? Die manuelle Anrufvermittlung erforderte Konzentration. Bild: Inka Grabowsky

Wissen für viele Gelegenheiten

An Publikumsinteresse mangelt es den Enthusiasten nicht. Fast jede Woche sei eine der neunzig-Minuten dauernden Führungen gebucht. Die 160 Franken, die dafür fällig werden, tragen am meisten zum Budget des Museums bei. Donatoren und die Beiträge der 350 Mitglieder des Trägervereins stemmen den Rest. «Wir können auf Mund-zu-Mund Propaganda bauen», so Präsident Neff. «Wer einmal hier war, erzählt es weiter.»

Natürlich kommen viele Ältere ins Telefon-Museum. Sie freuen sich, Apparate wiederzusehen, die sie selbst einmal gehabt haben. «Jüngeren geht das so, wenn sie unsere Mobiltelefon-Sammlung betrachten», sagt Turi Kammer.  Vom ersten Natel, dessen 16 Kilo man hier für einmal anheben darf, sagen das wohl nur wenige.

Immer wieder kommen Schulklassen, die lernen sollen, wie Nachrichtenübermittlung funktioniert. Denn im Telephonica geht es nicht nur um alte Telefone, sondern um Kommunikation von der Buschtrommel bis hin zum Glasfasernetz.

 

Das schwere Natel vor dem Hintergrund seiner leichten Nachfolger. Bild: Inka Grabowsky

 

Das Museum

Telephonica im Greuterhof, Hauptstrasse 15,  8546 Islikon

Im Internet: https://www.telephonica.ch 

 

Individuelle Besuche: sonntags von 14 bis 17 Uhr, ausser im Juli und August und an Feiertagen.

 

Führungen unter anmeldung_fuehrung@telephonica.ch

Die Serie «Industriekultur»

In einer kleinen Serie beleuchten wir einige Orte der Industriekultur im Thurgau.

 

In den nächsten Wochen werden wir hier zwei weitere Thurgauer Industriedenkmäler gesondert vorstellen.

 

Die Mechanische Werkstätte Wiesental in Eschlikon

Die «Alte Säge» in Tägerwilen

 

Alle Beiträge bündeln wir im Themendossier «Industriekultur».

 

 

 

 

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