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Sie wollen Frauenfeld bunter machen

Sie wollen Frauenfeld bunter machen
Achtung, Sprayer:innen unterwegs! Monika und Marco Niedermann bringen im Sommer 2023 ein grosses Street Art Festival nach Frauenfeld. | © zVg

Fast eine halbe Million Franken Fördergelder bekommen Monika und Marco Niedermann für ihr neues Street Art Festival. Ist das naiv oder eine Wende in der Kulturförderpolitik im Thurgau? (Lesedauer: ca. 5 Minuten)

Wenn es stimmt, was der Schauspieler und Alltagsphilosoph Patrick Swayze vor einigen Jahren mal gesagt haben soll, dann ist das erste Frauenfelder Street Art Festival von Monika und Marco Niedermann auf einem guten Weg. Nach seinen Zielen und Ambitionen befragt, sagte Swayze in seiner unbekümmerten und zupackenden Art also: „Wer seine Ziele nicht an den Sternen festmacht, kommt nicht mal auf den Kirchturm.“

Die Ziele von Monika und Marco Niedermann stehen in einem Dossier ganz umglamourös auf schwarz und weiss: „Frauenfeld zur coolsten und buntesten Kunststadt machen“, liest man da zum Beispiel. Vergleicht man Ist- und Sollzustand der Kantonshauptstadt, dann ist das durchaus eine Ambition, die einem Griff nach den Sternen gleicht. Wie soll das gehen?

Für eine Antwort auf diese Frage, muss man nach Frauenfeld fahren. Ein Dienstag im Oktober, wir treffen uns mit den Initiator:innen des Festivals in der Altstadt der Kantonshauptstadt. Passenderweise in Räumen, die sich Stadtlabor nennen. Denn das, was da im Sommer 2023 in Frauenfeld geschehen soll, hat ja durchaus experimentellen Charakter.

 

„Wir haben eine Vision und wir haben grosse Lust für unsere Stadt was zu gestalten.“

Marco Niedermann, Initiator Street Art Festival

„Wir haben eine Vision und wir haben grosse Lust für unsere Stadt was zu gestalten“, sagt Marco Niedermann, einer der beiden Initiator:innen des Street Art Festivals. „Wir haben die Idee schon länger in unseren Köpfen, auf Reisen durch Städte, die durch Street Art geprägt waren, hatten wir immer wieder das Gefühl, so etwas wäre auch toll für Frauenfeld“, beschreibt Monika Niedermann den Ursprungsgedanken des Festivals.

Beide zusammen betreiben die Frauenfelder Designagentur „Die Pause“. Diese Jahr haben sie nun gemeinsam beschlossen, die Festival-Vision aus den Köpfen erst aufs Papier und dann idealerweise in den Stadtraum zu bringen.

Was soll also im Sommer 2023 in Frauenfeld passieren? Das Street Art Festival ist breit angelegt: Neben sämtlichen Spielarten von dem, was man unter Street Art versteht (siehe Infokasten zum kleinen Street-Art-Lexikon am Ende des Textes), soll es auch Strassentheater, Street Food, Kunsterlebnisse, Projekte für und mit Kindern und Jugendlichen, Strassenmusik und manches mehr geben. Die Kunst soll Begegnungen ermöglichen und Auseinandersetzung mit den in den Werken verarbeiteten Thema fördern.

 

Street Art macht was mit einer Stadt, wie diese Beispiele aus dem dänischen Aarhus zeigen. Bilder: Michael Lünstroth

Eröffnung ist im Juni 2023

Kern der Open-Air-Ausstellung soll der Bereich zwischen Altstadt und Bahnhof werden, im Lindenpark und der Murg entlang sollen sich Arbeiten finden, weitere Street-Art-Stationen sollen sich über die gesamte Stadt verteilen. Alle Orte sollen am Ende über eine neue Stadtführung verbunden werden. Wenn es gut läuft, dann gelingt mit dem Festival in wenigen Monaten wofür andere Städte Jahre brauchten - die Begründung einer Street-Art-Tradition. Bislang ist Frauenfeld nicht als Street-Art-Destination bekannt.

Das Festival ist vor allem am Eröffnungswochenende vom 2. bis 4. Juni als eine bunte Mischung aus Stadtfest, Kunstausstellung, Kulturerlebnis und Vermittlungsformaten gedacht. Aber auch davor soll das Festival bereits pulsieren, wenn man den eingeladenen Künstler:innen bei der Arbeit über die Schulter schauen kann.

Und auch nach der Eröffnung sollen die Arbeiten bleiben. Mindestens bis in den Herbst 2023 sollen sie die Stadt schmücken. Manche könnten auch für immer in Frauenfeld erhalten werden, hoffen die Initiator:innen.

 

„Galeriekunst wirkt oft eingesperrt in Rahmen, Street Art sprengt diese Grenzen in vielerlei Hinsicht, das gefällt mir sehr.“

Monika Niedermann, Initiatorin Street Art Festival

„Street Art ermöglicht ein ganz anderes Kunsterlebnis“, findet Monika Niedermann. Die Eintrittsschwelle in eine Galerie sei für viele Menschen hoch, wenn Kunst im öffentlichen Raum entstehe, dann falle dies automatisch weg. „Galeriekunst wirkt oft eingesperrt in Rahmen, Street Art sprengt diese Grenzen in vielerlei Hinsicht, das gefällt mir sehr“, sagt Monika Niedermann.

Fast 700 Künstler:innen aus 59 Ländern haben sich für eine Teilnahme beworben, am Ende werden wohl um die 60 Künstler:innen eingeladen. Die Mischung soll international und stilistisch vielfältig sein: „Wir wollen die Vielseitigkeit der Street Art zeigen“, erklärt Marco Niedermann ein Auswahlkriterium.

Anders als andere Festivals wollen die Frauenfelder Initiator:innen den Künstler:innen auch Gagen zahlen. Wie hoch die seien wird, ist allerdings noch nicht klar. Acht Monate vor Beginn des Festivals ist vieles noch im Fluss.

Video: arte über Urban Art

Klug: Alle relevanten Player sind im Boot

Aber schon jetzt zeigt sich, wie klug das Projekt vorbereitet wurde. Die Gründer:innen stellen ihre Projektmanagement- und Designkompetenz zur Verfügung. Für den Rest haben sie sich Hilfe geholt. Der von ihnen gegründete gemeinnützige Verein „Pro Streetart Schweiz“ ist offizieller Veranstalter des Street Art Festival. Zweck des Vereins ist die Förderung von Street Art in der Schweiz. Eine Massnahme dafür ist eben das geplante Festival.

Im Beirat des Vereins sitzen mit Rolf Müller (Geschäftsführer Thurgau Tourismus), Caroline Schwar (Geschäftsleiterin Regio Frauenfeld Freizeit & Tourismus), Stefan Mühlemann (Vorstand Gastro TG und SVP-Kantonsrat), Urs Schönholzer (Präsident Gewerbeverein der Region Frauenfeld) und Christof Stillhard (Kulturbeauftragter Stadt Frauenfeld) gewichtige Vertreter:innen aus Tourismus, Gastro, Gewerbe und Politik von Stadt und Kanton. Zudem ist der Theatermann Giuseppe Spina als weiterer kreativer Kopf dabei.

Ein Kurator:innen-Duo hilft bei der Auswahl

Neben dem Verein gibt es noch ein Kurator:innen-Duo, das dabei helfen soll, die richtigen Künstler:innen auszuwählen und am Ende die grosse Freiluftgalerie zu strukturieren. Es sind die in der Szene bekannten Pase vom Zürcher Sprayer-Duo One Truth Brothers und die schweizerisch-finnische Künstlerin Taina. „Wir haben von Anfang an alle ins Boot geholt, die für das Projekt wichtig sein könnten“, beschreibt Marco Niedermann die Strategie.

Diese Professionalität dürfte auch dazu beigetragen haben, dass das Festival im Sommer hohe Fördersummen von der Stadt Frauenfeld und dem Kanton Thurgau erhalten hat. Insgesamt 430’000 Franken kamen auf diese Weise zusammen: 280’000 Franken aus dem Covid-Hilfsfonds der Stadt und 150’000 Franken aus dem Lotteriefonds des Kantons.

Video: SRF über das Graffiti-Unternehmen der One Truth Brothers

Viel Geld für einen unbekannten Verein

Das waren ungewöhnlich hohe Summen in einem Kanton, in dem Kulturschaffende sich sonst erst über Jahre mühevoll beweisen müssen, ehe sie auch nur annähernd sechsstellige Summen erhalten. Noch ungewöhnlicher wurde es dadurch, dass es den Festival-Veranstalter, den Verein Pro Streetart Schweiz, zum Zeitpunkt der Förderzusage noch gar nicht gab. Er wurde erst im September 2022 offiziell gegründet.

Christoph Stillhard, Kulturbeauftragter der Stadt Frauenfeld, sagt auf Nachfrage von thurgaukultur.ch, dass das Gesuchsdossier so gut gewesen sei, dass man daran nicht vorbeikommen konnte. „Gleichzeitig ist das Festival auch eine geeignete Veranstaltung, um den von Corona am stärksten geschädigten Branchen Gastronomie, Events und Kultur einen kräftigen Energieschub zu geben“, so Stillhard.

 

„Der kantonale Beitrag ist als Startbeitrag zu betrachten, um eine erste Durchführung des Festivals zu ermöglichen.“

Philipp Kuhn, Kulturamt Thurgau

Auch beim kantonalen Kulturamt ist man vom Projekt überzeugt: „Das Festival bringt durch die Wahl von sehr leicht zugänglicher Kunst wie der Streetart-Kunst künstlerisches Schaffen und Kunstwerke einem breiten Publikum näher. Dadurch wird ganz unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen eine Begegnung mit Kunst ermöglicht, gerade auch solchen, die sonst vielleicht eher selten mit Kunst in Berührung kommen oder Kunstausstellungen besuchen“ lobt Philipp Kuhn, Leiter des kantonalen Kulturamts das Konzept.

Er betont aber auch: „Der kantonale Beitrag ist als Startbeitrag zu betrachten, um eine erste Durchführung des Festivals zu ermöglichen.“ Heisst im Klartext für möglicherweise folgende Ausgaben des Festivals müssen sich die Veranstalter um eigene Finanzierungsmodelle kümmern.

Quantensprung in der kantonalen Kulturpolitik?

Und trotzdem, vielleicht ist das ja die beste Nachricht in all dem gesprochenen Geld: Dass es auf der einen Seite jemanden gibt, der sich traut gross zu denken im Thurgau und dass auf der anderen Seite die Politik im Blick auf eine junge Vision ihre Fördermöglichkeiten nicht künstlich einschränkt, sondern ausschöpft, um etwas Neues zu ermöglichen.

Sollte sich das verstetigen, wäre das ein Quantensprung in der kantonalen Kulturpolitik. Zumindest dann, wenn das auch für Projekte gilt, die weniger einflussreiche Befürworter:innen in ihren Reihen haben als das Street Art Festival.

Suche nach geeigneten Street-Art-Flächen läuft

Für Monika und Marco Niedermann geht es jetzt erstmal um die nächsten Schritte in ihrem Projekt. Mitte November gehen sie in einen Workshop mit den Kurator:innen, um die Künstler:innen für das Festival auszuwählen.

Parallel kümmern sie sich darum genügend Flächen in der Stadt zu finden, auf denen die Street-Artist:innen im Sommer arbeiten können. Gespräche mit der Stadt dazu laufen. Wer privat eine Fläche anbieten möchte oder sich die eigene Hausfassade neu gestalten lassen möchte, kann sich direkt an die Organisator:innen wenden (siehe Infokasten am Ende des Textes).

 

«Das wird eine Galerie, wie es sie noch nie gegeben hat.»

Monika Niedermann, Initiatorin Street Art Festival

Stehen die Künstler:innen und die zur Verfügung stehenden Flächen fest, geht es darum beides zusammenzubringen. Das Kuratorenduo soll dafür sorgen, dass Künstler:in und Ort gut zusammen passen. Stück für Stück soll so die grosse Frauenfelder Freiluftgalerie entstehen. „Das wird eine Galerie, wie es sie noch nie gegeben hat“, verspricht Monika Niedermann.

Video: Graffiti: Gesprühte Rebellion? | Street & Urban Art; Doku-Reihe des WDR

 

Graffiti für die eigene Fassade

Die Initiator:innen suchen nach freien Flächen in Frauenfeld auf denen die Street-Art-Künstler:innen im Sommer arbeiten können. Wer selbst eine Fläche anbieten möchte, kann sich per E-Mail direkt an den Veranstalter wenden: hallo@streetart-festival-frauenfeld.ch Weitere Infos dazu finden sich auf der Website des Festivals. Ebenfalls noch gesucht werden private Übernachtungsmöglichkeiten für die anreisenden Künstler:innen. Sollte jemand im Mai/Juni ein Zimmer frei haben in Frauenfeld, kann er oder sie sich direkt bei den Veranstaltern melden: hallo@streetart-festival-frauenfeld.ch

 

Kleines Street-Art-ABC

Die verschiedenen Street-Art Disziplinen kurz erklärt:
 
Graffiti, Stencil, Mural, Roll-On, Calligraphy, Lettering
Kreative, bemalte oder gesprayte Kunstwerke auf zur Verfügung gestellten Stellwänden, Häuserfassaden, Garagentoren, Treppen, Mauern, Gullydeckel etc.
 
Urban Knitting, Yarn Bombing
Teilweise oder gänzlich umstrickte oder gehäkelte Gegenstände, Verzierungen und Verschönerungen an Laternenpfählen, Stromkästen, Gartenzäunen, Bäumen etc.
 
Strassen-Installationen
Öffentliche Räume, Bäume, Gassen oder Gegenstände werden durch Kunstwerke verändert oder belebt.
 
Tapeart

Künstler kleben mit Gaffa Tape oder Klebeband Motive, die an Strichzeichnungen erinnern, auf den jeweiligen Untergrund.
 
Paste-up
Vorab gestaltete Werke in Form von Plakaten, die mit Leim oder Kleister an die Wände und auf Strassen geklebt werden.
 
Keramik
Installationen und Verzierungen aus Keramik auf Gehwegen, Wänden, Gullydeckeln, etc.

 

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