von Niculin Janett, 28.08.2016
„Seegfrörni“ mit Herzblut
In Mammern am Untersee gehen momentan die Aufführungen des Musicals „Seegfrörni“ über die Bühne. Eine aufwändig gestaltete Produktion mit viel Engagement und einer etwas konfusen Story.
Die Entstehung des vom Verein „Mammern Classics“ veranstalteten Musiktheaters hat einen unfreiwillig pikanten politischen Hintergrund. Denn das ursprünglich geplante Vorhaben, wie schon 2013 die Lugansker Philharmonie nach Mammern einzuladen, wurde durch die Unruhen in der Ukraine vereitelt. Das Festivalkomitee entschied sich für eine Neuorientierung und bereitete so den Weg für ein neu komponiertes und geschriebenes Musical.
Festival-Initiator und Musiker David Lang übernahm das Steuer gleich selber und schrieb die Musik um eine Geschichte des Berliner Schauspielers Chris Dehler. Eine Geschichte, welche doch ein paar Fragen aufwirft.
Tauziehen um den Drehort
Bühne und Publikumsränge im Zirkuszelt werden von einem künstlichen Flüsschen in zwei Seiten aufgeteilt, symbolisch für die zwei einander gegenüberliegenden Dörfer Mammern und das deutsche Wangen.
Das künstliche Flüsschen trennt symbolisch zwei Dörfer am Untersee. Bild: Marc Aebi
Ein Aufruf im Radio versetzt nun die beiden Dorfgemeinden in hellen Aufruhr. Eine amerikanische Produktionscrew möchte in der Region einen Film drehen, es locken Prestige und Geld. Und so beginnt das Tauziehen um die Gunst der Film-Menschen, will doch jede Gemeinde als Drehort und Schauspieler-Quelle dienen.
FOEMS macht allerei Lustiges
Die Enthüllung, dass der Filmdreh nur ein Deckmantel ist für ein von der amerikanischen Regierung befohlener Test eines futuristischen Geräts, führt zu einer Kehrtwende in der Story, aber auch zu deren sanften Entgleisung. Besagtes Gerät, das „Future Organic Environment Manipulation System“, kurz FOEMS (Bildmitte oben), soll den Untersee zum gefrieren bringen. Wofür, leuchtet nicht zwingend ein.
Eingefroren wird schliesslich auch gar nichts, denn dieses Gerät entpuppt sich als eine Art Zeitmaschine, die allerlei lustige Dinge passieren lässt. Die Geschichte nimmt ihren Lauf - inklusive Aliens, einer Verlobung, einer Hochzeit, und zwei kurzzeitiger Verschiebungen amouröser Verhältnisse. Am Ende raucht nicht nur diese FOEMS-Maschine, sondern auch der Kopf.
Technisch viel geboten
Dass viel Herzblut und Einsatz in dieser Produktion steckt, ist wiederum nicht zu übersehen. Technisch wird da viel geboten. Angefangen mit dem schon erwähnten Flüsschen, welches an den Zuschauern vorbei zur Bühne hin fliesst und dort in den „See“ mündet. Oder die grossen Projektionen, welche für die richtige Stimmung der einzelnen Szenen sorgen. Herzstück des technischen Efforts ist aber mit Sicherheit das FOEMS, welches sich tatsächlich ferngesteuert über die Bühne bewegt, fröhlich qualmt und blinkt und sogar mittels LED-Schriftzügen zu kommunizieren vermag.
Musik überzeugt
Auch die Musik überzeugt. Die solide gesetzten Melodien kommen vor allem dank guten Gesangsarrangements schön zur Geltung. Die am Ende gut gemeinte, aber doch vielleicht etwas platte Geschichtsmoral der Liebe verknüpft sich denn auch nahtlos mit den süffigen Harmonien der Songs. Vielleicht hätte man sich hie und da noch etwas mehr Mut in der stilistischen Vielfalt der Lieder gewünscht, die überzeugenden Stimmen der Darsteller machen da aber wieder einiges an Boden gut. Sowieso verstehen Darsteller-Crew wie auch die zehn Musiker und ihr Klavier spielender Dirigent (ebenfalls David Lang) ihr Handwerk gut und liefern eine professionelle Performance ab.
Somit schliesst sich dann ein etwas verwirrender, aber durchaus auch unterhaltsamer Abend mit einem grossen Happy End auf Bühne wie auch im Publikum, welches die Darsteller mit warmem Applaus in den Feierabend schickt.
***
„Seegfrörni“, das Musical am See: bis 10. September 2016; Tickets hier bei Mammerh Classics
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