Seite vorlesen

von Barbara Camenzind, 14.11.2022

Musik als Brückenbauerin

Musik als Brückenbauerin
Heimatklänge humorvoll-achtsam dekonstruiert: Der Jazzpianist Florian Favre mit seinem Programm Idantitâ. | © Barbara Camenzind

Am Sonntag startete in Romanshorn die neue Klangreich-Saison mit dem Titel „In a silent way“. Den Auftakt machte der Fribourger Pianist  Florian Favre mit seinem Projekt „Idantitâ“. (Lesedauer: ca. 2 Minuten)

Mit einem Gewitter in den tiefen Tasten legte Florian Favre los. Messerscharfe Anschläge wechselten mit zarten Kaskaden. Da plötzlich schälte sich eine Melodie aus den grossen Septimen. Die kannte ich doch? Oder nicht?

Der flotte Ragtime löste das Ohr wieder aus der Erinnerung. Mit verschmitztem Gesicht beendete der Pianist die Performance um zu erklären, er habe mehrere Melodien miteinander verwoben, unter anderem „le lutin du chalet“ - Der Wichtel des Häuschens“  von Abbé Joseph Bovet.

Den wahrscheinlich in der Ostschweiz nur noch sangesfreudige Personen der Generation Welschlandjahr mit Namen kennen, wenn überhaupt.

Liebevoll-vergnügliche Dekonstruktion

Während der Corona-Pandemie setzte sich Favre mit der reichen und grossen Chortradition seines Heimatkantons Fribourg auseinander, den Liedern in denen das sonst verschwundene Patois, der mit dem Provenzalischen verwandte fribourgische Dialekt noch lebt. Seine liebevoll-vergnügliche Dekonstruktion der grossen Gesänge in jazzig-leichte Klangteppiche begeisterten das Romanshorner Publikum.

Favre legte in diesem Konzert dem Kuhreihen eine Jazzbrücke über den Röstigraben. Als charmanter Botschafter der vielfältigen Kultur unseres Landes, das in seiner Viersprachigkeit oft mehr nebeneinander, als miteinander lebt. Musik ist eine Brückenbauerin und der Jazz der federnde Bodenbelag.

Video: So klingt Florian Favre am Klavier

Eine Hommage an Ennio Morricone

Spannend auch, wie er mit Blöcken und Stoffbahnen die Saiten des Flügels präparierte, so dass das Instrument nebst Melodie auch als Perkussionskörper erklang. Man versank in dieser Klangreise und hätte stundenlang zuhören können. Seine schöne, wie abgründige Komposition „Don’t burn the witch“ klang wie eine Hommage an Ennio Morricone.

Und dann endlich, zwei alte Bekannte: Jean, mit seiner Hütte oben in den Bergen, die nur durch einen Oktavsprung zu erreichen ist (Là-haut sur la montagne) und Liauba! Oder Ljoba, wie wir hierzulande singen, an der Olma bei den Ständen der Westschweizer Weine, viel mehr kriegen wir oft auch nüchtern nicht vom „Ranz des vaches“, dem berühmten Fribourger Kuhreihen zusammen.

Von Cowboys und Kuhhirten

Mit einer Hommage an die Kuhhirten seiner Heimat, die im Gegensatz zu den amerikanischen Cowboys weniger bekannt seien, verabschiedete sich Florian Favre im coolen Trott durch die Akkordlandschaft von seinen Zuhörenden. Merci cordialement für dieses Erlebnis.

 

Die neue Klangreich-Saison im Überblick

Christian Brühwilers klangreich-Konzertprogramm-Konzept ist bestechend cool wie ausgesucht: „In a silent way“ hiess das Fusion-Album von Miles Davis, für den Romanshorner Konzertveranstalter ist dies eine Art grundsätzliches Leitmotiv, wie er auf der Homepage schreibt.

 

Brühwiler, selber Posaunist, verfügt über ein ausgezeichnetes Netzwerk und das Bewusstsein, dass die kleine mittelalterliche Kirche ebenso als Interpret wahrgenommen werden muss. Mit traumtänzerischer Sicherheit wählt er Interpretinnen und Interpreten aus, die bestens in sein Biotop für unschubladisierbare Musik zwischen Jazz, Mittelalter, Barock und Neutönendem passen.

 

Im kommenden, titelgebenden Konzert am 18. Dezember begegnen sich „in a silent way“ die Barockharfenistin Giovanna Pessi  und der renommierte Jazztrompeter Tom Arthurs, dann ist endlich am 26. Februar auch nach pandemiebedingter Verschiebung die englischen Madrigale der Musica Transalpina mit Stimmhorn-Sänger Christian Zehnder zu hören.

 

Für ganz eingefleischte Fans der Zwischentöne kommt der Meister des Serpents, Michel Godard mit der Sängerin Nataša Mirkovich und dem Perkussionisten Jarrod Cagwin im Rahmen des Bodensee-Festivals im Mai 2023 nach Romanshorn.

 

Mit sephardischen Liedern aus dem mediterranen Raum im Gepäck: „En el amor“ - an die Liebe. Die ganze Saison von klangreich lässt auf viel wunderbare Musik hoffen. Von Christian Brühwiler liebevoll ausgesucht. 

 

Das gesamte Programm im Überblick gibt es auch auf der Website der Konzertreihe.

 

 

 

 

Kommentare werden geladen...

Kommt vor in diesen Ressorts

  • Musik

Kommt vor in diesen Interessen

  • Jazz
  • Weltmusik
  • Volksmusik

Werbung

kklick Kulturvermittlung Ostschweiz

Ausschreibung Mandate der Kantone AR, GL, SG & TG (2024 bis 2027). Mehr dazu hier...

Frauenfeld ROCKT - jetzt bewerben!

Anmeldeschluss: 24. Juni 2023

Kulturplatz-Einträge

Veranstaltende

klangreich

8590 Romanshorn

Ähnliche Beiträge

Musik

Das bittersüsse Gift der Liebe

Das Bodenseefestival gastierte mit jüdisch-sephardischer Kultur und Musik in der Alten Kirche Romanshorn. Das Publikum war bezirzt. mehr

Musik

Mit Schalk, Charme und gutem Gedächtnis

Seit zehn Jahren tourt UnglauBlech schon durch meist ausverkaufte Säle. Am Samstag 15. April lädt die Blechbläserformation zum kleinen Jubiläum ins Casino Frauenfeld ein. mehr

Musik

Von Algorithmen und anderen Göttern

„Modern Gods“ heisst das neue Album des Thurgauer Perkussionisten Fabian Ziegler. Es geht um die heutige Beziehung zwischen Mensch und Technik und zeigt die Vielseitigkeit der klassischen Perkussion. mehr