von Aline Ostergaard, 25.05.2023
Das bittersüsse Gift der Liebe
Das Bodenseefestival gastierte mit jüdisch-sephardischer Kultur und Musik in der Alten Kirche Romanshorn. Die Sängerin Nataša Mirković, Perkussionist Jarrod Cagwin und der grosse Jazzmeister am Serpent, Michel Godard bezirzten das begeisterte Publikum mit „En el Amor“; hintersinnig-bukolischen Liedern und Klängen. Und einer Leerstelle. (Lesedauer: ca. 2 Minuten)
Der jüdische Witz ist legendär. Der jüdisch-sephardische Witz ist eine Schlange. Harmlos schleicht er sich durch die Hintertür, getarnt als Liebeserklärung, um die Schauspielerin Tamara Stern zu zitieren.
Sängerin Nataša Mirković, geboren in Bosnien, hat im Schmelztiegel ihrer Heimat Zugang zu den Liedern ihrer sephardischen Nachbarn bekommen. Jenen Nachfahren iberischer Juden, die von den allerkatholischsten Königen Ferdinand und Isabella justament in dem Jahr aus dem Land geworfen wurden, als ein gewisser Kolumbus den Seeweg nach Indien finden wollte.
Die Musik des südlichen Mittelmeers
Die Vertriebenen, einst die Vermittler zwischen dem maurischen und christlichen Spanien, hatten nicht nur das eigentümliche alte Spanisch mit im Gepäck, sondern auch die Mikrotonalität, diese wunderbaren feinen Koloraturmuster der Musik des südlichen Mittelmeers. In der Diaspora auf dem Balkan und im osmanischen Reich behielten die Sephardim einerseits ihre Sprache bei und fügten neue Klangschichten hinzu.
Mirković ist eine Meisterin darin, genau diesen Schmelztiegel fein am Köcheln zu behalten. Flexible Wechsel zwischen leicht kehligen Rufen, dieser Kipp-Punkt in die feinziselierte Kopfstimme mit ihrer grossen Flexibilität. Und hinter all dem Schmelz, dem grossen iberischen „Ay der Sehnsucht“: Der hintersinnige Witz. Ja, der hat seinen ganz eigenen Klang, den man in der Gegend der ersten Backenzähne produziert.
Texte über auftrumpfende Schwiegermütter
Selbst wenn man von den Worten wenig bis gar nichts verstand, verstand man so doch deren Sinn. Das war richtig toll gesungen. Sehr gut und unterhaltsam waren auch die persönlichen Erläuterungen der Sängerin zu den Texten rund um auftrumpfende Schwiegermütter, Wiegenlieder, Königinnen mit Organisationsproblemen rund um ihre Kinder mehrerer Liebhaber und anderen zauberhaften Katastrophen.
Wunderschön auch die hineingeflochtenen Paraphrasen in Form von Gedichten von Ernst Marianne Binder (1953-2017). Ihm widmete Mirković dieses Programm, „en El Amor“.
Prächtige Perkussion, zurückhaltendes Serpent
Ein absolutes Highlight des Abends war die Perkussion. Der Amerikaner Jarrod Cagwin ist bekannt dafür, alles was es an Handschlagtechniken vom Nahen Osten über Brasilien bis Afrika und Indien gibt, zu lernen und in seiner Musik weiter zu entwickeln. Er sorgte für spannende geräuschhafte Einwürfe, mit Glocken, Schellen, und verband mit pulsierend-hypnotischem Groove Gesang und Serpent.
Michel Godard übte sich an diesem Abend in Zurückhaltung. Er, der mit seinen unvergleichlichen, neu gedachten Ostinato-Pattern immer wieder eine Brücke schlug zwischen der alten und der neuen Welt der Musik, blieb im Konzert lange in Hintergrund, murmelnd, fast zu wenig vorhanden. Es war etwas schade, denn das gewundene Instrument klang hervorragend in der alten Kirche Romanshorn.
Klangfarben erobern den Raum
Gegen Ende des Programms flocht er jedoch in wunderbar Godard’scher Manier Licht und Schatten, Geräusch und Melodie zwischen Texte und Rhythmus, zauberte Klangfarben in den Raum und begeisterte zusammen mit Cagdwin in „En El O“, zu dem dieser Text Ernst Marianne Binders gehört, der diese Besprechung abschliesst:
„tief ohne grund
gebiert die stille
mich lautlos und wahr“
Das Instrument Serpent
Das Serpent ist ein historisches Blasinstrument mit Kesselmundstück und Fingerlöchern, in späteren Ausführungen auch Klappen. Es diente als Bass-Instrument gerade bei Freiluftaufführungen und wurde in der Militärmusik des 17. -19. Jahrhunderts gebraucht. Der nächste Verwandte ist der Zink und blieb als einziges Mitglied der Zinkenfamilie länger in Gebrauch. Heute verwendet man es als Bass-Instrument bei Konzerten mit historischer Aufführungspraxis. Michel Godard entdeckte das Serpent für den Jazz.
Von Aline Ostergaard
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