von Brigitte Elsner-Heller, 21.01.2019
Ittingen: Das bietet das Programm 2019
Die Kartause Ittingen ist kein Ort der Schnelllebigkeit, sondern einer zum „Wandern und Wandeln“, wie es im Jahresmotto 2019 lautet. Kulturell sind die Ittinger Pfingstkonzerte erneut ein Höhepunkt, und die Museen reagieren auf sich ändernde Publikumswünsche.
Die Kartause Ittingen, seit 1977 in der Hand der gleichnamigen Stiftung, ist nicht nur ein bedeutendes Kulturdenkmal, sondern auch durch die breit gefächerte Nutzung ein Beispiel dafür, wie Vergangenheit bewahrt, Gegenwart gelebt und Zukunft ins Auge gefasst werden kann. „Die Kartause Ittingen wird als Einheit wahrgenommen“, formulierte Heinz Scheidegger, Procurator der Stiftung, anlässlich der Vorstellung des Jahresprogramms 2019, das unter dem Motto steht „Wandern und Wandeln“. Konkret gewandert werden kann mit den Angeboten des Zentrums für Spiritualität, Tecum, das auch die Auszeiten in klösterlichem Ambiente erweitern wird. Und dass das Restaurant und Hotel gerade einen ICONOS-Preis für Kompetenz im Umgang mit dem Baudenkmal erhalten hat, sieht man natürlich auch gern.
Selbstvertrauen beflügelt die Ittinger Pfingstkonzerte
„Man getraut sich langsam etwas“, fährt Heinz Scheidegger fort und ist bei den Ittinger Pfingstkonzerten, die dieses Jahr vom siebten bis zehnten Juni zum 25. Mal stattfinden. Nach András Schiff und Heinz Holliger hat der deutsch-französische Cellist Nicolas Altstaedt 2019 die Leitung des renommierten Musikfestivals übernommen und dabei das Musikfestival unter das Motto „Genesis“ gestellt. Gewandelt wird auf den Spuren Johann Sebastian Bachs, wobei auch der ungarische Raum thematisiert wird, aus dem die Familie Bach stammte. Das gewachsene Selbstvertrauen zeigt sich unter anderem auch darin, dass erstmals eine Auftragskomposition vergeben wurde. So wird Nicolas Altstaedt nicht nur Bachs eindrückliche Cello-Suiten spielen, sondern auch das Cellokonzert uraufführen, das die aus Schaffhausen stammende Komponistin und Geigerin Helena Winkelman für Ittingen geschrieben hat. Altes und Neues in Verbindung zu bringen, ist längst Tradition, und so spannt der Konzertzyklus einen weiten Raum auf zwischen Bach und Bartók oder Schubert und Schostakowitsch. Zu erwähnen sind auch die Ittinger Sonntagskonzerte, von denen bis Ende April noch fünf zu erleben sind.
Nachhaltigkeit als Stichwort für die Museen
Interessant ist, wie man sich in Ittingen an sich verändernde Rahmenbedingungen anzupassen, beziehungsweise diese in die künftige Ausrichtung einzubauen versucht. Wo der „Achtsamkeits“-Trend gerade dem Tecum-Programm weiter Rückenwind verleiht, erlangt im Betrieb der beiden Museen, dem Ittinger Museum und dem Kunstmuseum Thurgau, der Begriff „Nachhaltigkeit“ zunehmend an Bedeutung. Was aber bedeutet „nachhaltig“ im Kunstbetrieb, der nicht unabhängig vom Marktgeschehen steht, und wo in den Museen doch nicht das ewig Gleiche, das als „unvergänglich“ Eingeordnete präsentiert werden kann?
Ausstellungen verlängert, Begleitprogramm experimenteller
Museumsarbeit lebt von Kontexten, muss aber auch selbst Kontexte liefern. Markus Landert, Leiter beider Ittinger Museen, hat zwar gerade beim Neujahrsapéro anhand der Werke von Helen Dahm über die Mechanismen des Kunstmarkts diskutiert, bringt aber bei der Medienorientierung vor allem geänderte Rezeptionsbedingungen ins Gespräch. Globalisierung und Digitalisierung erhöhten den Konkurrenzdruck, zudem reisten Kulturinteressierte mehr, so dass es wichtig sei, den Ausstellungen mehr Zeit zu geben. „Die Ansprüche des Publikums werden vielfältiger“, ergänzt Landert, so dass im Rahmen des jeweiligen Begleitprogramms mehr Experimente unternommen werden müssten, bei denen dann allerdings auch das Engagement des Publikums gefordert sei. Zur bis Ende August laufenden grossen Retrospektive „Helen Dahm – Ein Kuss der ganzen Welt“ ist vorgesehen, Projekte anzubieten, über die Frauenleben thematisiert werden. In diesem Zusammenhang ist auch das Videoprojekt „L´univers de Germaine“ zu sehen, in dem unter anderem Muda Mathis „Geschichten aus einem nonkonformistischen Frauenleben“ erzählt. Und wer „mitmachen, mitdenken und mitgestalten“ will, wie es heisst, kann sich an Terminen im Februar und März dem Frauen-Kunst-Club anschließen.
Neue Produkte gefragt
„Wir sind aufgerufen, neue Produkte und Experimente zu lancieren“, erklärt Landert. Dazu zählt sicher auch das Projekt des Künstlerkollektivs COSMOS, das die Kartause Ittingen über ihre Geräusche einfangen will. Von Mitte September bis Mitte Oktober lässt sich Kunst als „work in progress“ verfolgen, bevor in der „Werkschau Thurgau“ das regionale künstlerische Schaffen vorgestellt wird (dies parallel auch in der Kunsthalle Arbon, im Shed in Frauenfeld sowie im Kunstraum Kreuzlingen). Wer teilnehmen wird, entscheidet eine Jury bis April 2019. Bis Ende Oktober ist im Kunstmuseum Thurgau zudem weiter die Ausstellung von Till Velten, „La condition humaine“, zu sehen. Mindestens bis Mai 2020 soll auch der LOOP des Künstlerduos Bildstein | Glatz im Aussenraum vor der Kartause stehen bleiben.
Das Ittinger Museum bleibt bis Ende 2019 weiter beim Thema Wasser, das bereits Motto von 2018 war. Dem diesjährigen Thema angemessen werden (Wein-)Wanderungen um die Kartause angeboten.
Wie erwähnt, finden in den beiden Museen zahlreiche Begleitveranstaltungen – Vorträge, Lesungen, Workshops, Führungen – statt. Weitere Informationen dazu unter www.kunstmuseum.ch
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