von Michael Lünstroth・Redaktionsleiter, 27.02.2023
Der Weg ist die Kunst
Die Kulturstiftung vergibt ab März wieder ihre Recherchestipendien an Kulturschaffende. Aber wie gut ist das Instrument wirklich? Künstler:innen erzählen von ihren Erfahrungen. (Lesedauer: ca. 4 Minuten)
Es war mitten in der Pandemie als die Thurgauer Kulturstiftung eine neue Idee hatte: Wie wäre es, wenn wir künftig nicht nur die Produktion von Werken förderten, sondern auch den Weg dahin? Das war die Geburt der Recherche-Stipendien. Erstmals wurden unabhängig von einer vorzeigbaren, abgeschlossenen Arbeit, Gelder vergeben. „Es ging uns dabei darum, einen Verlauf im künstlerischen Prozess aufzuzeigen. Wir wollten den Künstler:innen den Raum geben, neue Ideen zu entwickeln ohne den Druck am Ende etwas abliefern zu müssen“, erklärt Stefan Wagner, Beauftragter der Kulturstiftung im Rückblick auf 2020.
Damit hatte die Stiftung offenbar einen Nerv getroffen: Mehr als hundert Anfragen waren innerhalb von drei Wochen eingegangen. Das lag auch an der Pandemie in der Künstlerinnen und Künstler um ihre Existenzen kämpften. Aber das auch nach Corona anhaltende Interesse an dem Programm zeigt, es muss mehr dahinter stecken. „In der Kulturförderung blieb bislang oft unbeachtet: Was steht vor dem Werk? Die Recherche-Stipendien decken genau das ab“, findet Stefan Wagner. Wenn man so will, ist der Weg nicht nur das Ziel, der Weg ist (auch) die Kunst.
Neue Ausschreibung startet am 1. März
Ab 1. März können sich Künstler:innen nun erneut um eines der Stipendien bewerben (wie das geht, steht in einer Infobox am Ende des Textes). Sie sind inzwischen auch deutlich besser dotiert als in den Anfängen - der Betrag stieg von 4000 Franken auf 10’000 Franken. Dafür werden nun nicht mehr so viele Stipendien vergeben. Während 2021 noch 40 Künstler:innen auf diese Weise gefördert wurden, werden es in diesem Jahr nur noch 10 sein. Der Wettbewerb wird also härter.
Die grosse Frage aber ist: Wie gut ist das Recherche-Stipendium wirklich? Um das zu beantworten haben wir mit mehreren Künstler:innen gesprochen, die in den vergangenen Jahren ein solches Stipendium erhalten haben.
„Das Stipendium war auch deshalb so grossartig, weil es so unkompliziert war: Ich musste mich nicht stundenlang damit beschäftigen, Anträge und Reports zu schreiben, sondern konnte mich der Kunst widmen.“
Thi My Lien Nguyen, Fotografin (Bild: Joel Hunn)
Die Fotografin Thi My Lien Nguyen zum Beispiel. „Ich war sehr froh und dankbar, dass ich 2021 ein Recherchestipendium bekommen habe“, sagt die Künstlerin. Corona war damals noch allgegenwärtig, die Aussichten für freischaffende Künstler:innen trübe. „Ich hatte als freischaffende Fotografin immer noch relativ wenig Aufträge. Das Stipendium hat mir so auch etwas Luft und Raum gegeben, mich zu hinterfragen, wie es nun bezüglich meiner künstlerischen Praxis weitergehen soll und kann“, erinnert sich Thi My Lien Nguyen.
Was sie besonders gut fand war, wie niederschwellig Bewerbung und Nachberichte dazu waren: „Das Stipendium war auch deshalb so grossartig, weil es so unkompliziert war: Ich musste mich nicht stundenlang damit beschäftigen, Anträge und Reports zu schreiben, sondern konnte mich der Kunst widmen.“
„Ein Kunststipendium sollte grundsätzlich nicht mit der Forderung nach einer Weiterentwicklung oder dergleichen verknüpft werden“.
Daniel Gallmann, bildender Künstler
Für den bildenden Künstler Daniel Gallmann war das Programm auch ein Glücksfall. Bei vielen anderen Förderungen fällt er oft durch das Raster, weil er sich nicht ständig weiterentwickelt, sondern konsequent an seinen Sujets weiterarbeitet. „Die Ausschreibung eines Recherche-Stipendiums finde ich gut, da dieses Förderformat an keine spezifische Zielvorgabe gebunden ist. Bei dieser Form von Ausschreibung konnte ich eine Rechtfertigung finden, wozu ich das Stipendium einsetze. Bei einer konzeptuellen Arbeit, die einem einmal eingeschlagenen Weg folgt, ist dies sonst nicht so einfach“, sagt Gallmann.
Für ihn ist das auch eine Frage der Haltung: „Die Grunddisposition liegt in meinem Fall immer in einem Konflikt zwischen meiner Kunst und einer Kultur, die kein Innehalten kennt. Für mich ist es hilfreich, wenn die Kunstförderung keine bestimmten Zielsetzungen, zum Beispiel die Forderung im konsumistischen Sinn eine Neuheit zu schaffen, vorgibt.“ Aus seiner Sicht sollte ein Kunststipendium grundsätzlich nicht „mit der Forderung nach einer Weiterentwicklung oder dergleichen verknüpft werden“.
Daniel Gallmann ist in der Hinsicht ein Überzeugungstäter. Seine Arbeit ist für ihn Protest, Rebellion, Widerstand gegen all das, was ihn am Kunstbetrieb anekelt: Die Kommerzialisierung. Die Degradierung zur Unterhaltungssparte. Die Fortschrittsgläubigkeit. Die Eventisierung.
Ein Schritt in die richtige Richtung
Deshalb ist er überzeugt: „Es sollte eigentlich so sein, dass die Kunst auf die Gesellschaft einwirkt, so dass diese sich verändert und die Kunst nicht gezwungen wird, einer konsumistischen Kultur zu folgen.“ Das Recherche-Stipendium war für ihn ein richtiger Schritt auf diesem Weg.
„Für mich war es sehr toll, mit der ersten Ahnung einer Idee drauf lossuchen zu können.“
Tabea Steiner, Autorin (Bild: Markus Forte)
Nicht für alle Künstler:innen war das Stipendium eine so grundlegende Entscheidung. Die Autorin Tabea Steiner zum Beispiel war froh, überhaupt mal Zeit für Recherche zu haben. „Für mich war es sehr toll, mit der ersten Ahnung einer Idee drauf lossuchen zu können“, sagt sie.
Das Recherche-Stipendium habe es ihr ermöglicht, in alle Richtungen zu suchen. „Dabei habe ich auch schon sehr Erstaunliches gefunden. Beispielsweise Grabräuber im Thurgau.“ Ein Thema, das sie möglicherweise in einem neuen Roman behandeln möchte. Das Stipendium habe ihr zudem noch mal deutlich gemacht, wie wichtig das gründliche Nachdenken und Suchen für ihre Arbeit ist: „Für die Recherche ist Zeit einfach immer das Wichtigste, und deswegen auch das Wertvollste.“
So kannst du dich bewerben auf ein Recherche-Stipendium
Das Stipendium: Mit dem Recherchestipendium in der Höhe von 10'000 Franken erhalten Kulturschaffende die Möglichkeit über einen längeren Zeitraum für die eigene künstlerische Arbeit zu recherchieren und Ideen weiterzuentwickeln. Das Stipendium bindet sich explizit nicht an eine Ausstellung, einen Auftritt oder ein anderweitiges Endprodukt sondern soll der Weiterentwicklung der künstlerischen Arbeit oder einem Andenken von Formatwechseln dienen. Der Zeitraum des Stipendiums soll auf die zweite Hälfte 2023 oder das Frühjahr 2024 fallen. Als Abschlussbericht haben die Stipendiat:innen einen Fragebogen auszufüllen, in welchem sie Auskunft über ihre Tätigkeiten in dem Stipendium geben.
Die Bewerbung: Kulturschaffende, die im Kanton Thurgau wohnen, einen prägenden Lebensabschnitt verbrachten oder das kulturelle Leben im Thurgau über längere Zeit mitgestalteten, können sich bewerben. Auch wer in früheren Jahren schon mal ein Recherchestipendium erhalten hat, kann sich erneut bewerben. Einreichungen sind vom 1. bis zum 31. März 2023 über die digitale Gesuchsplattform der Kulturstiftung möglich.
Die Unterlagen: Folgende Dokumente sind laut Kulturstiftung einzureichen
eine Seite mit der Beschreibung des Vorhabens
eine Seite mit Angaben zur Biografie und Zeitplan
Nachweis Pensionskasse oder Konto der gebundenen Selbstvorsorge (3a) (s.u. Soziale Sicherheit).
Soziale Sicherheit: Die Kulturstiftung entrichtet auf das Recherchestipendium einen Beitrag in der Höhe von 10 Prozent auf ein Konto zur Sozialen Sicherheit. Der Nachweis eines entsprechenden Kontos ist zwingend mit der Bewerbung einzureichen.
Die Jury: Die Jury besteht aus Mitgliedern des Stiftungsrats und der Geschäftsstelle der Kulturstiftung. Bewerber:innen werden im Mai per E-Mail über den Entscheid informiert.
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