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Der Blick für den Moment

Der Blick für den Moment
Findet das Aussergewöhnliche im Gewöhnlichen: Der Fotograf Sebastian Stadler. | © Privat

Der Fotograf Sebastian Stadler hat den Blick für das Aussergewöhnliche im Gewöhnlichen. Vom Kanton erhält er jetzt einen persönlichen Förderbeitrag. Teil 5 unserer Serie über die ausgezeichneten Künstler

Von Michael Lünstroth

Will man Sebastian Stadler schwärmen hören, dann muss man ihn nur nach seiner Zeit in Armenien fragen. Für die NGO Komitas Action Suisse-Arménie (KASA) hat er dort ein halbes Jahr lang als Fotograf seinen Zivildienst abgeleistet. „Das ist ein wahnsinnig spannendes Land, extrem viele verschiedene Völker treffen dort aufeinander. Es passiert gerade sehr viel da, es gibt eine unglaubliche Energie, neue Cafés, Museen entstehen", blickt der 29-Jährige zurück. Neben der Arbeit für KASA hat er in der Hauptstadt Eriwan auch an eigenen fotografischen Projekten gearbeitet. Ein grosses Glück für ihn, denn was gibt es Schöneres für einen Fotografen als in einer neuen Umgebung zu beobachten, hinzuschauen und zu entdecken? Wer Stadlers Arbeiten aus dieser Zeit gesehen hat, kann es nur als folgerichtig empfinden, dass er in diesem Jahr mit dem 25 000 Franken schweren Förderbeitrag des Kantons bedacht wurde.

«Objects in mirror are closer than they appear», Jerewan, 2016. Bild: Sebastian Stadler

Stadler wurde 1988 in St. Gallen geboren, ist aber am Rande des Thurgau aufgewachsen. 2011 schloss er sein Bachelorstudium der Fotografie an der Ècole Cantonale d'art de Lausanne ab. Seit 2012 arbeitet er als Künstler und freischaffender Fotograf in Zürich. Seine Werke wurden schon in verschiedenen Ausstellungen gezeigt, unter anderem 2017 im Kunstzeughaus Rapperswil und im Centre PasquArt Biel. 2013 erhielt er den Swiss Art Award, 2014 den Förderpreis für Fotografie der Internationalen Bodenseekonferenz und 2015 einen Förderbeitrag der UBS Kulturstiftung. Die Jury des Thurgauer Förderbeitrags musste sicher nicht lange überlegen, ob der junge Fotograf die Auszeichnung verdient. In ihrer Laudatio zur Preisvergabe lobte denn auch Nadia Veronese vom Kunstmuseum St. Gallen: „Er ist ein scharfer Beobachter seines Umfelds. (...) Als Fotograf erzählt er vom unaufgeregtem Alltag und folgt dabei einem detektivischen Aufspüren von gesellschaftlichen Fragestellungen."

Auf der Suche nach einem Lebensziel war für Sebastian Stadler relativ schnell klar, dass es jedenfalls irgendwas mit Fotografie zu tun haben würde. „Ich fand Fotos schon immer spannend, das hat mich fasziniert und dann bin ich nach und nach da reingerutscht", erzählt der 29-Jährige im Gespräch. Bereits seine Abschlussarbeit an der Kantonsschule Wil war eine Fotoserie über finnische Sommerhäuser. Das Thema lag insofern nahe als Stadler Halb-Finne ist, seine Mutter kommt aus dem skandinavischen Land. Nach der Matura bewirbt er sich in der Fotografieklasse an der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) und wird prompt angenommen, später schliesst er das Studium in Lausanne ab.

Aus der Serie «l'apparition», 2015. Bild: Sebastian Stadler

In seiner Themenwahl ist er nicht eingeschränkt, aber viele Arbeiten haben eines gemeinsam: sie greifen gesellschaftliche Fragen auf. In seiner Arbeitsweise versteht er sich eher als Versuchsleiter: „Ich finde etwas interessant und fange einfach mal an zu fotografieren. Was am Ende daraus wird, ist am Anfang nicht klar. Das entsteht erst in einem längeren Prozess", erläutert Stadler. Nicht zu wissen, wo einen ein Projekt hinführt, kann auch gefährlich sein. Stadler weiss das, einige seiner Pläne seien auch deshalb schon versandet. Anders arbeiten könnte er deswegen trotzdem nicht. Vieles entstehe oft auch aus dem Moment heraus.

"Bilder schaffen Wahrheiten", sagt der Fotograf

Fragt man ihn danach, was ihn an der Fotografie so reizt, dann sagt er einen bemerkenswerten Satz: „Bilder schaffen Wahrheiten. Für viele Menschen gilt, dass etwas real sein muss, wenn es davon eine Fotografie gibt. Diesen Wahrheitsanspruch finde ich reizvoll", so Stadler. Und was ist mit all den Debatten über Fake-News, manipulierte Bilder und verdrehte Wahrheiten? Können Bilder überhaupt wahrhaftig sein? Der 29-Jährige überlegt kurz und sagt dann: „Letztlich ist doch jede Fotografie inszenierte Wirklichkeit. Selbst bei dokumentarischen oder journalistischen Fotos wählt der Fotograf ja bestimmte Parameter aus. Genau diese Grauzone finde ich ja so spannend."

«Objects in mirror are closer than they appear», Ausstellungsansicht Kunstzeughaus Rapperswil, 2017

Der Förderbeitrag ist für ihn jetzt eine schöne Wertschätzung: „Für mich schafft diese Auszeichnung vor allem Freiräume, um mich um meine eigenen Projekte zu kümmern", erzählt er. Konkret will er mit dem Geld fotografische und filmische Projekte, Ausstellungsprojekte im In- und Ausland und eine Publikation mit seinen Arbeiten finanzieren. Im Sommer geht er dann mal wieder auf grosse Reise - mit dem Fahrrad von Usbekistan aus durch China. Und im Frühjahr 2018 geht es zurück nach Eriwan. Gemeinsam mit anderen Künstlern will er hier eine Foto-Ausstellung zeigen.

Weitere Einblicke in Sebastian Stadlers Schaffen gibt es in Video und Foto auf seiner Internetseite: http://sebastianstadler.ch 

 

 

Weiterlesen: 

Mehr zur Auszeichnung: Alles zum Preis und den diesjährigen Preisträgern im Überblick gibt es hier: http://www.thurgaukultur.ch/magazin/3161/ 

Teil 1 der Porträtreihe über die diesjährigen Preisträger "Zeit, Geld und Anerkennung: Die Autorin Tabea Steiner über sich und ihre Arbeit" können Sie hier nachlesen: http://www.thurgaukultur.ch/magazin/3186/

Teil 2 der Porträtreihe über die diesjährigen Preisträger: "Aus der Schweiz nach Europa" Jazzmusiker Raphael Jost im Porträt finden Sie hier: http://www.thurgaukultur.ch/magazin/3191/ 

Teil 3 der Porträtreihe über die diesjährigen Preisträger: "Zwischen Geologie und Architektur" Die Geschichte über Reto Müller gibt es hier: http://www.thurgaukultur.ch/magazin/3202/ 

Einen Bericht zur Förderpreisvergabe vom 23. Mai 2017 im Kunstraum Kreuzlingen gibt es hier: http://www.thurgaukultur.ch/magazin/3211/  

Die Serie wird demnächst mit einem Beitrag über Sara Widmer abgeschlossen.

Eine Liste mit allen bisherigen Förderbeitragsempfängern seit 1996 gibt es hier: https://kulturamt.tg.ch/public/upload/assets/40777/Liste_Foerderbeitragsempfaenger_1996-2017.pdf 

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