von Brigitta Hochuli, 06.03.2014
Wechsel bei Divertimento
Renata Egli-Gerber übergibt das Präsidium des grenzüberschreitenden Kreuzlinger und Konstanzer Orchestervereins Divertimento an Ursula Schmid Iseli. Im Interview blickt die Geigerin Renata Egli auf 15 Jahre unentwegter organisatorischer Arbeit zurück.
Brigitta Hochuli
Frau Egli, wie kam es im Jahr 1998 zur Gründung des Orchesters Divertimento?
Es war ein schöner Tag im Herbst 1998. Die Kreuzlinger Geigerin Ada Pozar war damals meine Nachbarin. Wir standen am Gartenzaun und philosophierten darüber, warum es wohl in Kreuzlingen kein Orchester gebe. Wir kamen dann zum Schluss, wenn es keines gebe, müsse man halt eines gründen.
Gesagt, getan?
Ja. Ada Pozar konnte Silvan Konrad für diesen Plan gewinnen. Er hatte ein Lehrdiplom für Cello und machte in den folgenden Jahren eine Weiterbildung zum Buchhalter. Von Anfang an war er bei uns Cellist und Geschäftsleiter. Ein Glücksfall für uns. Pensionierte Streicher der Südwestdeutschen Philharmonie kamen dazu sowie einige musikalische Laien wie ich selber. Das Orchester Divertimento war geboren. Ada Pozar leitete es als Konzertmeisterin.
Wie war das erste Konzert?
Das erste Konzert, eine Serenade, fand im Juli 1999 in der Seeburg statt. Der legendäre Fred Sallenbach machte uns die Ehre und schrieb einen kritischen, doch im Tenor wohlwollenden Konzertbericht. Da er damals auch Berichterstatter des Kantonsrates war, konnte er es sich nicht verkneifen, mich als „tüchtig mitgeigende Kantonsrätin“ zu erwähnen.
Aber Sie waren nicht nur tüchtige Grüne Kantonsrätin und Geigerin, Sie haben auch das Orchester gemanaget.
Einerseits geigte ich von Anfang an im Orchester mit, andererseits war ich auch für Organisatorisches, wie Konzertlokale, Gesuche und alles Schriftliche zuständig. Bald einmal wurden wir von der Stadt Kreuzlingen unterstützt. Vom Kanton erhielten wir ebenfalls einen Startbeitrag, eine grosse Ermutigung, das vergesse ich nie!
Später, seit 2003, gab‘s einen Trägerverein. Wer hatte und hat dort das Sagen?
Als ersten Präsidenten konnten wir den sportbegeisterten Kreuzlinger Lehrer Hannes Aurag gewinnen. Wir, die drei Gründungsmitglieder, bildeten nun zusammen mit der Kreuzlingerin Marie-Luise Schreier den Vorstand. Ausserordentlich wichtig für unser Fortkommen in den letzten zehn Jahren war auch Vorstandsmitglied Oliver Carnal. Der Stimmführer der zweiten Geige brachte viel Erfahrung im Management mit. Unsere grossen Networker in Konstanz sind Silvia Stadelhofer vom künstlerischen Betriebsbüro der Südwestdeutschen Philharmonie und der Jurist Dietrich Sternberg. Arbeit gab es für alle immer in Hülle und Fülle. Im Jahr 2007 übernahm ich dann das Präsidium von Hannes Aurag, der wieder mehr Zeit für den Sport haben wollte.
Nun zum Orchester selber. Gelingt das Deutsch-schweizerische Zusammenspiel?
Im Orchester spielen gegenwärtig 21 Streicherinnen und Streicher. Wir waren von Anfang an ein grenzüberschreitendes Orchester. Ich bin stolz, dass von den gegenwärtig viel besprochenen Animositäten zwischen Deutschen und Schweizern bei uns nichts zu spüren ist. Ich höre immer wieder von Mitgliedern, dass sie den herzlichen Umgangston bei uns schätzen. Seit einigen Jahren unterstützt uns auch die Stadt Konstanz finanziell.
Divertimento ist ein Laienorchester auf hohem Niveau. Welches Credo steckt hinter dieser Leistung?
Wir möchten begabten und gut ausgebildeten Musikerinnen und Musikern aus der Region eine Plattform bieten für solistische Auftritte. Wichtig sind uns auch die jungen Talente, die wir bekannt machen wollen. Wichtig sind und bleiben für uns immer auch die Laienmusiker. Ihre Ausbildung in den Jugendmusikschulen hat Eltern, Gemeinden und Kanton viel Geld gekostet. Es ist schade, wenn die erworbenen Fähigkeiten im Erwachsenenalter brach liegen. In diesem Sinn bereichert Divertimento auch das Freizeitangebot.
Wie hat sich Divertimento im Lauf der letzten 15 Jahre entwickelt?
Das Orchester ist nicht nur grösser geworden, es veränderte sich auch in der Struktur. Berufsleute traten aus Altersgründen zurück und Laien rückten nach. Das Orchester war nun weniger homogen und nicht mehr so gut vom ersten Geigenpult aus zu leiten. Der Ruf nach einem Dirigenten wurde immer deutlicher. Auf ein winziges Inserat in der Schweizer Musikzeitung meldeten sich 30 Interessierte aus ganz Europa. Die Mitglieder von Divertimento entschieden sich dann nach etlichen Probedirigaten für Bruno Kewitsch, einen Geiger, Bratschisten und Dirigenten aus Radolfzell, der heute noch bei uns am Pult steht.
Ein Orchester braucht ein Programm. Welche Musik spielt Divertimento?
Wir spielen Musik von Barock bis Moderne. Dabei versucht Divertimento die Balance zu halten zwischen der Aufführung bekannter und beliebter Werke und solchen von nicht so bekannten Komponisten, die es zu entdecken gilt. So gab es zum Beispiel im vergangenen Jahr bei Divertimento eine Thurgauer Erstaufführung mit der Serenade des polnischen Komponisten Mieczyslaw Karlowicz.
Und aktuell?
Gegenwärtig proben wir für ein serenadenhaftes Sommerprogramm Werke aus Spätromantik und Moderne. Mit den Komponisten, Pjotr I. Tschaikowski, Wassili S. Kalinnikov, Leo Weiner, Carl. A. Nielsen, Jean Sibelius und Georges Bizet nehmen wir das Publikum mit auf eine sehr emotionale musikalische Reise durch Europa.
Frau Egli, Sie klingen enthusiastisch. Warum wollen Sie eigentlich nicht länger Präsidentin bleiben?
Nach 15 Jahren unentwegter organisatorischer Arbeit für Divertimento bin ich dankbar für eine Ablösung. Ich freue mich riesig, in Ursula Schmid Iseli eine hochkarätige Nachfolgerin gefunden zu haben. Ich werde aber im Orchester weiterhin „tüchtig mitgeigen“, wie Fred Sallenbach wohl sagen würde.
Renata Egli-Gerber
Renata Egli-Gerber (1947) ist freie Journalistin. Sie wuchs im Kanton Bern auf. Sekundarlehrerstudium für Sprachen und Musik. Berufsbegleitend studierte sie später Latein, vergleichende und allgemeine Sprachwissenschaft, 1977 Lizentiat. Durch die Heirat kam sie nach Kreuzlingen in den Kanton Thurgau, wo zwei Söhne geboren wurden. Viele Jahre lang unterrichtete sie Latein. 1997- 2004 war Renata Egli-Gerber Mitglied der Grünen Fraktion im Thurgauer Kantonsrat. Biografin von „Elisabeth Müller" (Quelle: www.fembio.org). (pd)
Ursula Schmid Iseli
Ursula Schmid Iseli (1943) hat ursprünglich das Seminar in Rorschach besucht, später in Zürich Chemie studiert und sich im Bereich Hochschulmanagement weitergebildet. Unter anderem war sie Wissenschaftliche Sekretärin beim Schweizerischen Nationalfonds zur Förderung der Forschung in der Abteilung Nationale Forschungsprogramme, Direktorin eines Nationalen Forschungsprogrammes und hatte eine Stabsstelle bei der Schulleitung der ETH Zürich. Seit April wohnt sie in Kreuzlingen, wo sie die ersten 12 Lebensjahre verbracht hat. Nach Stationen in Zürich , Bern und wieder Zürich sei sie mit ihrem Mann Max Iseli nach Gündelhart (Gemeinde Homburg) gezogen. Vor sechs Jahren hätten sie in Kreuzlingen eine passende Eigentumswohnung gefunden. „Dank Freunden, Verwandten und Bekannten im Raum Frauenfeld/Kreuzlingen/Konstanz fühlen wir uns am Bodensee gut integriert. Zudem entspricht die Infrastruktur mit Läden, öffentlichem Verkehr und angenehmem Klima unseren Bedürfnissen. Nicht zuletzt ist uns auch das kulturelle Angebot an Theater- und Konzertaufführungen wichtig“, sagt Ursula Schmid Iseli. (red)
www.orchester-divertimento.org
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