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von Samantha Zaugg, 24.10.2019

«Wir wollen die Welt zeigen, wie sie ist»

«Wir wollen die Welt zeigen, wie sie ist»
«Früher hat es gereicht, dass ein Kino Filme zeigt.» Christof Stillhard, Programmchef des Cinema Luna, hat das Projekt von Anfang an begleitet. | © Samantha Zaugg

Arthouse-Kinos haben es nicht einfach, ein Arthouse-Kino in Frauenfeld sowieso nicht. Das Cinema Luna trotzt den Umständen und feiert 25-jähriges Bestehen. Und das obwohl es kein Popcorn gibt. Programmchef Christof Stillhard im Interview.

Das Cinema Luna wurde im Juni 1994 geboren. Ist das alt?

Eigentlich, ja. Ich finde schon. Aber wenn ich die Zeitspanne anschaue, dann ist es eigentlich total kurz. Ich bin so ein bisschen hin und hergerissen. Wir waren sehr jung damals, von dem her ist es schon alt.

Rate mal, wer auch im Juni 94 geboren wurde.

Im Juni 94? Hm. Ja du zum Beispiel?

Ja genau. Darum wollte ich wissen ob das alt ist. Ich kann mich nicht erinnern, wie das vor 25 Jahren war, was hat sich seit damals am meisten verändert?

Extrem viel. Es gab noch keine Handys, Computer waren extrem am Anfang. Wir hatten schon so ein bisschen Internet oder Mail, aber das hat man noch nicht richtig gebraucht. Beim Film war die Digitalisierung noch nicht angekommen. In der Produktion wurde noch auf 35-Millimeter-Film gedreht. Erst 2003 wurde der erste Schweizer Film digital gedreht. Im Kino wurde aber noch lange analog projiziert, die Filme wurden auf 35 Millimeter umkopiert. Als wir den Umbau des Lunas geplant haben, wussten wir zwar, dass die Digitalisierung kommt, aber wir haben noch voll auf 35 Millimeter gesetzt. Und dann, als wir 2011 den Neubau eingeweiht haben, da wussten wir schon: Oh Shit. Wir haben dann recht schnell mit Unterstützung des Bundesamts für Kultur zwei digitale Projektoren gekauft für je 100'000 Franken.

Mal aus Besucher-Perspektive gedacht: Ist das Kino heute noch so wie vor 25 Jahren?

Die Digitalisierung hat Auswirkungen darauf, wie schnell wir die Filme bekommen und wie lange sie im Kino bleiben. Aber auch das Kino als Ort hat sich verändert. Früher hat es gereicht, dass ein Kino Filme zeigt, dass es einfach Spielstätte ist. Ich glaube heute muss man sich überlegen, was kann ein Kino sonst noch sein? Ein gutes Beispiel ist das Kosmos in Zürich. Das ist auch ein Restaurant, eine Bar, ein Buchladen, ein Kafi, ein Veranstaltungslokal für Podiumsdiskussionen.

Platzmarkierung: Der alte Standort des Luna an der Bahnhoftstrasse. Bild: zVg

 

«Unsere Philosophie ist nicht das zu zeigen, was sowieso schon die ganze Welt zeigt, sondern die kleinen Sachen, die unbekannten.»

Christof Stillhard, Leiter Cinema Luna

Muss sich das Kino also verändern?

Ich denke, es geht schon in diese Richtung. Ein Kino steht eigentlich 20 Stunden am Tag leer. Am Abend macht es Schwupp, es kommen ein paar Leute, dann steht es wieder leer. Man muss sich auch andere Nutzungen überlegen. Das Programm vielleicht am Tag ausbauen. Mein Traum wäre ein Lunchkino. Ich habe in Zürich studiert und bin oft am Mittag ins Kino, am Nachmittag sowieso. Das würde ich eigentlich hier auch gern machen. Aber da ist die Frage, ob Frauenfeld nicht zu klein ist.

Sind früher mehr Leute ins Kino gekommen?

Ja. Es sind vor allem mehr Junge gekommen. Ich habe das Gefühl, unser Publikum ist mit uns gealtert. Aktuell zeigen wir den Film «Joker». Unser Präsident Beat Oswald hat sich da eingesetzt. Er sagte, das kann interessant sein, um Junge ins Kino zu holen. Beim Blick ins Publikum hat man dann gesehen, dass es auch junge Leute hat. Aber das ist selten. Unser Publikum ist im Durchschnitt fünfzig oder älter.

Dass die Jungen nicht kommen, ist generell ein Problem von Kulturinstitutionen und nicht vom Kino im Speziellen. Ich denke, das hat nichts mit Netflix oder der Digitalisierung zu tun.

Da bin ich anderer Meinung. Ich glaube, Netflix ist schon auch eine Konkurrenz. Aber Netflix ist nicht das einzige Problem. Wegen den Streamingdiensten wird das Kino nicht eingehen. Aber heute hast du so viel mehr Auswahl, wie du den Abend verbringen kannst, wie du dich informieren oder neue Welten kennenlernen kannst. Als ich jung war, bin ich jede Woche ins Kino. Und ich war nicht der einzige. Für uns gab es Lesen oder Kino. Da hat sich die Welt aufgetan. Heute ist das anders. Wenn du an der Welt interessiert bist, dann recherchierst du im Internet. Für uns war das Kino wirklich noch der Weg, um etwas über die Welt zu erfahren.

«Ich habe das Gefühl, unser Publikum ist mit uns gealtert.»

Christof Stillhard

Du hast «Joker» schon angesprochen. Es ist selten, dass ihr solche Major Movies zeigt. Ist alles aus Mainstream oder Popkultur automatisch weniger gut?

Nein, auf keinen Fall. «Joker» ist ein gutes Beispiel. Oder auch «Terminator», das finde ich einen grossartigen Film. Es geht mehr darum, dass sie aus Hollywood kommen. Da werden nicht nur 200 Millionen ausgegeben für die Produktion des Films, sondern nochmals der gleiche Betrag für Werbung. Diese Filme starten mit so einer wahnsinnigen Kraft, dass alles andere fast an die Wand gedrückt wird. Daher ist es schon unsere Philosophie, nicht das zu zeigen, was sowieso schon die ganze Welt zeigt, sondern die kleinen Sachen, die unbekannten.

Du bist auch zu einem grossen Teil für die Programmation verantwortlich. Wie gehst du da vor? Schaust du einfach den ganzen Tag Filme?

Ja, schön wärs! Im Gegensatz zu Programmverantwortlichen von anderen Kinos, die hundert Prozent angestellt sind, bin ich nur mit zwanzig Prozent da. Ich kann es mir gar nicht leisten, nach Berlin oder nach Cannes zu gehen. Ich sehe Filme in Locarno, am Zürich Filmfestival, an den Solothurner Filmtagen. Ich mache das schon lange und weiss mittlerweile, was funktioniert und was nicht. Das ist keine wahnsinnige Kunst.

Die Programmation des Luna ist aber schon ein Alleinstellungsmerkmal. Würdest Du sagen, der Erfolg hat mit dem Programm zu tun?

Das schon. Es ist eine Nische. Ich glaube, man kann die Kinos an einer Hand abzählen, die in der Provinz ein reines Arthouse-Programm zeigen, und das, ausser bei den Kinderfilmen, nur in Originalsprache mit Untertiteln. Das Roxy zum Beispiel zeigt auch solche Filme. Aber die sind das einzige Kino in Romanshorn, die müssen auch mal einen Blockbuster programmieren. Wenn man das einzige Kino im Dorf ist, muss man auch mal einen James Bond zeigen.

Als ihr angefangen habt, was war da eure Einstellung? Habt ihr gesagt, so, wir wollen eine Instanz werden, oder war der Drive so, wir haben gern Filme und schauen mal?

Wir waren total blauäugig. Das ist wie beim Kinder-Kriegen. Wenn du am Anfang weisst, was das alles mit sich bringt, dann würdest du sagen, nein danke. Aber manchmal ist es gut, wenn man nicht weiss, was alles auf einen zukommt. Und so war es auch beim Luna. Wir haben einfach gesagt, so jetzt haben wir Geld von diesen Filmnächten und jetzt sammeln wir nochmals ein bisschen mehr und dann machen wir mal. Dann müssen wir nicht immer nach Zürich ins Kino.

Kinosessel sind teuer, in Frauenfeld wurden Occasionen aus einem anderen Kino eingebaut. Bild: zVg

 

«Netflix ist nicht das einzige Problem. Wegen den Streamingdiensten wird das Kino nicht eingehen.»

Christof Stillhard 

Also ihr habt es vor allem für euch gemacht?

Für uns und unsere Kollegen, von denen wir gewusst haben, da gibt es noch viele andere, die gerne gute Filme haben.

Wie geht ihr um mit Schweizer Filmen?

In der Schweiz kommen etwa 100 Schweizer Filme raus pro Jahr. Das ist wahnsinnig viel. Das Schlosskino zeigt vielleicht ein bis zwei Schweizer Filme pro Jahr, der schweizerische Durchschnitt ist etwa sechs bis sieben Prozent. Bei uns sind etwa ein Viertel der 200 Filme, die wir pro Jahr zeigen, Schweizer Filme. Also ungeheuer viel. Und bei den meisten ist das Defizit von Anfang an klar. Aber die zeigen wir, weil wir finden, wir sind in der Schweiz, wir wollen zeigen, was hier produziert wird. Die Filme sind gut und sagen etwas über unser Land aus.

Gibt es auch Filme, von denen ihr im Vornherein wisst, dass sie wahnsinnig schlecht laufen und die ihr dann trotzdem zeigt?

Ja. Es gibt Filme, irgendwelche kleinen iranischen, usbekischen oder senegalesischen Filme, bei denen ich denke, gut, da kommen vielleicht drei bis vier Leute pro Abend. Dann kann man positiv überrascht sein und es kommen mehr oder es kann noch schlimmer sein und es kommt niemand. Aber du weisst, die, die kommen, sind froh. Die finden, geil, ich kann hier einen Film schauen, den ich sonst nur in Bern oder Zürich sehen könnte.

Warum macht ihr das?

Angebotsvielfalt. Wir haben nur 10 Prozent Amerikaner im Programm, im Unterschied zum gesamtschweizerischen Durchschnitt, wo es etwa 70 bis 80 Prozent sind. Wir wollen die Welt zeigen, wie sie ist. Dafür werden wir auch unterstützt, deshalb bekommen wir Förderung vom Kanton, von der Stadt und vom Bund.

Vom Coiffeursalon zum Kinosaal: Umbauarbeiten an der Bahnhofstrasse. Zuerst war das Cinema Luna in den Räumlichkeiten eines ehemaligen Coiffeurs. Bild: zVg

 

«Das ist wie beim Kinder-Kriegen. Wenn du am Anfang weisst, was das alles mit sich bringt, dann würdest du sagen, nein danke.»

Christof Stillhard, über das Engagement der Gründer des Cinema Luna

Muss man nicht einfach sagen, etwas was sich nicht selbst finanzieren kann, ist vielleicht einfach kein Bedürfnis?

Also wenn wir zu hundert oder fünfzig Prozent am Tropf hängen würden und alle Einnahmen vom Staat kämen, dann wäre das schon komisch. Wir machen jedes Jahr einen Umsatz von etwa einer halben Million Franken pro Jahr. 20'000 Franken bekommen wir von der Stadt, 20'000 vom Kanton und etwa 10'000 vom Bundesamt für Kultur. Also etwa zehn Prozent des Umsatzes sind Fördergelder. Das kann ich gut verantworten. Diese Förderung erlaubt uns, noch ein bisschen freier zu sein, mal ein Experiment zu wagen.

Wenn ich mit meiner Mutter ins Kino will und das Luna vorschlage, dann ist das schwierig. Dann sagt sie, ah, das ist wieder so ein Film, wo 90 Minuten nichts passiert. Da muss man wieder einem Mönch zuschauen wie er läuft.

Ah, warst du mit ihr im  «Bodhi Dharma»?

Ja, ich glaube der wars.

Ja, solche Vorurteile gibt es. Ich verstehe das gut. Wenn ich meinem Vater einen Film vorgeschlagen habe, war das auch immer schwierig. Aber ich fände es schön, wenn man solche Vorurteile zerstören könnte. Wir haben so viele Filme, die spannend und lustig sind, wo etwas läuft.  Und dass Filme, die sich mit den relevanten Themen auseinandersetzen, nicht halligalli sind, liegt glaub in der Natur der Sache.
Das Ding ist, es gibt Leute, die gehen zweimal im Jahr ins Kino. Und wenn sie ins Schlosskino gehen und da läuft «Monsieur Claude», dann sind sie immer zufrieden. Und wenn sie einmal im Jahr zu uns kommen und dann müssen sie 90 Minuten einem Mönch zuschauen, der durch die Wüste läuft, ja, dann ist das schade.

Könntet ihr ja irgendwie kennzeichnen, das ist ein Arthouse, aber irgendwie noch verträglich.

Ja, das versuche ich. In den Zusammenfassungen versuche ich immer möglichst gut zu schreiben, worum es im Film geht.

Wieso habt ihr kein Popcorn?

Als ich in der Kanti war, hat uns der Geschichtslehrer einen Film gezeigt über ein Konzentrationslager. Ich hatte gerade von der Pause noch ein bisschen Schokolade übrig und hab noch ein Täfelchen gegessen. Da ist der richtig ausgerastet und hat gesagt, du kannst nicht einen Film über ein KZ schauen und dann Schoggi fressen. So ist es auch beim Arthouse Kino. Popcorn passt einfach nicht zu Beziehungsdramen und Dokfilmen über philosphische oder politische Themen.  Zweitens: Ich finde, es stinkt und es gibt eine Riesen Sauerei. Grundsätzlich finde ich, dass Kinos nicht zum Essen da sind.

«Die Förderung erlaubt uns, noch ein bisschen freier zu sein, mal ein Experiment zu wagen.»

Christof Stillhard, Cinema Luna, über Geld 

Video: Zum Thurgauer Kulturpreis 2014 hat arttv.ch einen Beitrag gedreht

Das Cinema Luna

Das Cinema Luna geht zurück auf die Frauenfelder FilmfreundInnen. Ab 1988 organisierten die FFF verschiedene Filmveranstaltungen, wie die Filmnächte im Kino Pax, die Openair Kinowoche oder das rollende Kino. So kam über die Jahre Geld zusammen und damit auch die Idee, ein eigenes Kino zu gründen. Mit Fronarbeit und Unterstützung von Gönnern, Sponsoren und der öffentlichen Hand bauten die FFF einen Coiffeursalon an der Frauenfelder Bahnhofstrasse zum Kino um und eröffneten im Juni 1994 das Cinema Luna. Die Räumlichkeiten waren nicht ideal, so dass 2011 der Umzug in die Überbauung Lindenhof direkt hinter dem Bahnhof folgte. Das Cinema Luna wurde mehrfach ausgezeichnet, unter anderem erhielten die Frauenfelder FilmfreundInnnen 2014 den Thurgauer Kulturpreis.

 

 

 

 

 

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