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von Samantha Zaugg, 06.02.2020

Was kann man tun?

Was kann man tun?

Das ist die grosse Frage, wenn man als privilegierter Mensch auf Reisen ist. Und es ist auch Thema des experimentellen Dok-Films «Dieter Meiers Rinderfarm», der in Frauenfeld Premiere feierte. So trendy und arty die Ästhetik, so ernst das Thema. Im Film geht es um existentielle Probleme des Mediums, vielleicht sogar der ganzen Kunst.

Als man nach der Vorstellung aus dem Kino kommt ist alles ein bisschen viel. Nur schon wegen den Leuten, das Cinema Luna war ausverkauft. Aber das ist wohl das Ding. Von allem, aber dafür viel.

Schliesslich ist es ja nicht nur ein Film. Die drei Künstler haben auch noch eine Punk Band gegründet, die auch «Dieter Meiers Rinderfarm» heisst und vielleicht gibt es auch mal noch ein Theater oder sowas, aber dazu später mehr.

Zurück zu dem Vielen. Einerseits ist es viel auf der formalen Ebene. Instafilter, Splitscreens, Orte, Menschen, Geschichten, Musik, Effekte. Der Film bedient sich einer Lo-Fi Ästhetik, saubere Töne, Schnitte, eine Storyline, oder konsistente Kameraführung sucht man vergebens. Das kann man mögen oder nicht, jedenfalls ist der Stil konsequent durchgezogen.

Dann ist da die inhaltliche Ebene, und da ist auch ziemlich viel, vor allem Fragen. Wieso sind wir privilegiert? Wieso andere nicht? Ist es einfach nur Glück und Zufall, in welche Welt wir hineingeboren werden? Wie gehen wir damit um? Sind wir Elendstouristen? Wie kommen wir aus der Teufelsspirale des kolonialen Narrativs? Denkt Dieter Meier auch über sowas nach?

Die Filmemacher, und gleichzeitig Protagonsiten, sind auch viel. DAIF, alias David Nägeli, Künstler, Musiker, Rapper. Und Stipendiat, er hat von der Stadt Frauenfeld ein Atelierstipendium bekommen, deshalb ist er überhaupt in Buenos Aires. Jessica Jurassica, Spoken Word Künstlerin, Heimatliteratin, Reisebloggerin, badass-kampf-feministische-anarcho Kunstfigur. Die zwei, DAIF und JJ, sind also in Buenos Aires um Kunst zu machen.

Der Elefant heisst Dieter Meier

Und dann kommt Jeremias Heppeler, der ist auch Künstler, aber eben auch Journalist. Obwohl, zuerst kommt eigentlich mal Michael Lünstroth. Hallo Chef! Michael Lünstroth ist Chefredaktor beim Onlinemagazin thurgaukultur.ch. Ja, genau dieses Onlinemagazin, in dem sie gerade diese Besprechung lesen. Vielleicht kann man sogar sagen, Michael Lünstroth ist mitverantwortlich, dass es das ganze Kunstprojekt gibt. Er hat Jeremias Heppeler, in der Rolle des Journalisten, losgeschickt um DAIF in seinem Atelierstipendium zu besuchen. Jedenfalls sind die drei in Buenos Aires, chillen in einem feudalen Kolonialhaus, drehen Interviews, laufen bisschen rum, immer mal wieder wird ein Song eingespielt, dazu Bilder aus der Stadt, Strassenszenen, die entweder Kopf stehen oder rückwärtslaufen.

Aber dann kippt die Stimmung. Es kommt das grosse Problem, die eigenen Privilegien. Wie soll man Kunst machen in Argentinien, einem Land am Abgrund, geplagt von Armut und Korruption. Und da sind wir bei den Fragen: Darf man als privilegierter europäischer Künstler in diesem Umfeld überhaupt Kunst machen? Die Zweifel der Protagonisten, ihr Hadern, ihre Suche nach Antworten, all das dokumentiert der Film.

Währenddessen steht immer ein Elefant im Raum. Er heisst Dieter Meier und steht stellvertretend für die ganzen Probleme. Er ist im Film die personifizierte Kolonialisierung. Der privilegierte, weisse Mann, der in ein gebeuteltes Land kommt, nach Argentinien. Der eine Rinderfarm aufbaut und Arbeitsplätze schafft. Eine Art westlicher Messias, ein vorzeige Exil-Schweizer.

Die Filmemacher sinnieren, ob er sich diese Fragen auch stellt. Ob er auch mit den eigenen Privilegien hadert. Ob er sich schlecht fühlt, wenn er auf seiner Farm in Medoza ein Rindsfilet isst und Wein trinkt, während viele Argentinierinnen und Argentinier nichts haben. Es gibt nur eine Art das rauszufinden: Eine Mail an Dieter Meier. Aber er antwortet nie. Bis jetzt. Jedenfalls bleiben die Filmemacher mit ihren eigenen Fragen und Zweifeln zurück.

Und dann machen sie das einzig vernünftige, wenn man mit allem total überfordert und voll von Wut und Desillusionierung ist: Eine Punk Band gründen. Und damit wie verspochen zum Theaterstück. Im besten Fall wird Dieter Meier auf den Film und die Band aufmerksam und reagiert mit einer Klage. Wenn ich das richtig verstanden habe, wäre das dann der Stoff für die Theaterinszenierung. Soweit so spassig. Aber nun zum Kern des Films, zum wirklich ernsten Thema.

Das Leiden der anderen

Wenn man einen Schritt zurück macht und über die ganzen Effekte und den Klamauk hinwegsieht, so offenbart der Film das elementare Problem des Genres Dokumentarfilm. Obwohl, eigentlich ist dieses Problem älter als das Medium Film, eigentlich kennt man es zuerst aus der Fotografie. Mit der Kamera das Leiden anderer zu betrachten ist so alt wie die Kamera selbst. Schon im 19. Jahrhundert, kurz nach der Erfindung der Fotografie, begannen Fotografen Armut abzubilden. Die Kamera als Instrument zur Dokumentation sozialer Probleme.

Die amerikanische Autorin Susan Sonntag hat mehrere Essaybände zum Thema verfasst. Sie beschriebt die Kamera als eine Art Pass, moralische Grenzen und gesellschaftliche Hemmungen aufzuheben, die Fotografen von ihrer Verantwortung gegenüber den Fotografierten zu entbinden: 

«Der springende Punkt beim Fotografieren von Menschen ist, dass man sich nicht in ihr Leben einmischt, sondern es nur besichtigt. Der Fotograf ist ein Supertourist.»

Susan Sonntag 

Und genau das ist auch das Problem von «Dieter Meiers Rinderfarm». Wie kann man vermeiden ein Elendstourist zu sein? Wie stellt man Menschen und ihre Nöte würdevoll dar? Wie kann man verantwortungsvoll mit Themen umgehen, die einem in jedem Bereich überfordern? Mit Themen, die grösser sind als die Geschichte? Die Antwort ist absolut und niederschmetternd. Gar nicht.

Schon der blosse Gedanke, dass man helfen kann reproduziert die kritisierte Kolonialisierung. Er macht die Unterscheidung: Wir und die anderen. Wir, die alles haben, sie, die Hilfe brauchen. Es ist ein unlösbares Dilemma. Man kann nicht aus seiner eigenen Haut, man kann keine Perspektive einnehmen als die eigene.

Armut als Ressource

Der Niederländische Künstler Renzo Marten, hat eine furchtbare These aufgestellt. Armut ist eine Ressource. Die von allen genutzt werden kann, ausser den Betroffenen selbst. Von Hilfswerken, von Volunteers, von NGO’s und deren Mitarbeitern. Sie alle helfen, profitieren am Schluss aber immer auch selbst. Sei es in Form von Lohn, Geld, gutem Gewissen, Aufträgen oder Arbeitsplätzen. Genau so verhält es sich auch mit Kunstschaffenden, im Übrigen auch mit Journalisten, die diese Themen bearbeiten.

Ein Fotograf, der ein Bild macht, von einem Hungernden Kind bekommt dafür ein Honorar, kann sein Portfolio vergrössern, vielleicht sogar eine Ausstellung machen oder ein Buch. Das Kind, oder die Mutter des Kindes gehen leer aus. Wenn aber eine Mutter ein Bild von ihrem hungernden Kind macht, kann sie es nicht an eine Bildagentur oder eine Galerie verkaufen. Sie könnte das gleiche tun wie der Fotograf, aber ihre Arbeit hätte einen anderen Stellenwert, eine andere Resonanz. Sie, die Armutsbetroffene ist die einzige, die nicht von der Ressource Armut profitieren kann.

Ist der Film deswegen schlecht? Hätte man ihn also nicht machen sollen? Nein. Denn es geht gar nicht anders. Der Film macht das einzige, was Künstlerinnen und Künstlern übrigbleibt, wenn sie konfrontiert sehen, mit Problemen, die grösser sind als sie selbst. Die Kunst nutzen als Ventil, um den Frust, den Schmerz und die eigene Scham darüber, dass es einem so gut geht zu verarbeiten oder auch nur ansatzweise zu begreifen. Und das dann im besten Fall mit anderen Menschen zu teilen. Denn schlussendlich bleibt einem nur eins: Die eigenen Privilegien und die Ungerechtigkeit der Welt anerkennen und aushalten. Das ist das einzige. Das kann man tun.



 

Termine

Der Film läuft am 06.02.2020 in Tuttlingen im Kino Scala und wird in der kommenden Zeit in verschiedenen Kinos in der Schweiz zu sehen sein:

20.03.20, 21. 00 Uhr Kino Rex Bern

21.04.20, riffraff, Zürich

 

Die Termine werden laufend ergänzt.

 

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