von Barbara Camenzind, 26.08.2016
Klangberauschtes Seedorf
Ein Augenschein bei den 9. Uttwiler Meisterkursen beweist: Der Thurgauer Musik-Geheimtipp hat sich zur internationalen Kaderschmiede gemausert. Das Schöne daran: das halbe Dorf war auf den Beinen.
Barbara Camenzind
Konstantin Lifschitz, Andrej Bielow, Juliane Banse: Wer sich nur ein bisschen für klassische Musik interessiert, reibt sich erstaunt die Augen, wenn er die schlichte, schön gestaltete Homepage der Uttwiler Meisterkurse durchforstet. Da erscheint, salopp gesagt, die A-Prominenz der Klassikszene, um sich im verträumten Dorf am See die Ehre zu geben.
Jeweils im August werden begabte Schülerinnen und Schüler aller Herren Länder von den Stars unterrichtet. Jenseits vom Prinzip „Meisterzirkus“, bei dem der Lehrer den Schüler vor versammeltem Publikum in die Pfanne haut, setzt Uttwil auf musische Entwicklung in Musse. Das ist hochsympathisch und zielführend, wie es beim Besuch der Unterrichtsstunden zu erleben ist. Künstlerischer Charme hat hier eine lange Tradition.
Künstlerkolonie mit Bodenhaftung
„Die Lehrenden wie die Lernenden schätzen die persönliche Atmosphäre sehr, erzählt Margrit Stickelberger, Hausherrin in der Uttwiler Seeburg und Gesamtleiterin des feinen Festivals. Wen wunderts: Im stattlichen Handelshaus am Ufer wartet ein reich gedeckter Kaffeetisch auf die Dozierenden, die Elevinnen und Eleven sind im ganzen Dorf privat untergebracht.
Ort der Musen: Die Uttwiler Seeburg. Bild: Hansjürgen Warnecke
Die prachtvolle Aussicht begleitet einen durch alle Stockwerke der Seeburg. Beim Kachelofen wird gegeigt, unterm Dach Klavier gespielt oder über Musik diskutiert. Die herrschaftlichen Häuser rundherum waren schon im frühen 20. Jahrhundert ein „Hort der Musen“. Emanuel Stickelberger, der „Schwiegergrossvater“ der klangbegeisterten Luzernerin war ein bekannter Schriftsteller, der ab 1948 in Uttwil wohnhaft war. Romancier Paul Ilg war hier oft anzutreffen, sowie der Grafiker und Kunstmaler Ernst Schlatter, nur um nur einige zu nennen.
Ganz Uttwil auf die Kunst eingestellt
Neben Margrit Stickelberger, der Pianistin Brigitte Meyer, Hansjürgen Warnecke und Andrea Röst ist es auch Anke Banse, der verstorbenen Mutter der berühmten Sopranistin Juliane Banse zu verdanken, dass mittels exzellenter Kontakte jedes Jahr renommierte Musiker mit ihren Meisterschülern nach Uttwil pilgern.
Unterricht in stimmungsvoller Atmosphäre: Die Klavierklasse von Brigitte Meyer. Bild: Hansjürgen Warnecke
Abgehobene Künstlerkolonie? Fehlanzeige. Ganz Uttwil scheint sich in diesen Tagen auf die Kunst eingestellt zu haben und die Musizierenden auf ihre zauberhafte Umgebung. Köchinnen und Helferinnen sorgen für Wohlgefühl und einen reibungslosen Ablauf, die Renovationsarbeiten an der Kirche wurden extra eingestellt, damit Saxophonist Beat Hofstetter ungestört im sakralen Raum unterrichten kann. Als besonderes Highlight kann man das jedes Jahr stattfindende Gemeinschaftskonzert des Musikvereins Uttwil mit den Bläser-Spezialisten des Meisterkurses bezeichnen. Von wegen Hochkultur versus Volkskultur: Hier wird gemeinsam musiziert. Punkt.
Gnadenlos gut
„Passen sie auf, als Bach diese Partita komponierte, hat er noch nichts von einem Pedal gewusst“. Unterm Dach der Seeburg wird hochkonzentriert gearbeitet. Pianist Konstantin Lifschitz kennt keine Gnade. Maria Anikina, Starschülerin aus Luzern, muss den Lauf so lange wiederholen, bis die Töne wie am Schnürchen durch den Raum perlen. Auch am musikalischen Duktus, der „Klangsprache“ wird unerbittlich gefeilt. Johann Sebastian Bachs schönschräge Akkorde, die er in sein harmonisches Wunderwerk eingeflochten hatte, klingen unter den Händen der talentierten jungen Frau plötzlich glasklar.
Konstantin Lifschitz und Maria Anikina arbeiten an Bachs Partita in e-Moll. Film: Barbara Camenzind
Szenenwechsel zu den Saxophonisten. Beat Hofstetter und Elia Pellegri widmen sich in der kühlen Kirche einem ganz heissen Stück Musik. Erwin Schulhoffs „Hot-Sonate“ für Altsax und Klavier ist ziemlich herausfordernd und tricky. Geduldig und in einwandfreiem Italienisch erklärt Hofstetter das Prinzip des Quetschtones zu Beginn des Stücks. Pellegri bekommt Zeit, sich auszuprobieren, die Zuhörenden erleben fasziniert den tonalen Entwicklungsprozess.
Quetschklänge in der Kirche: Beat Hofstetter unterrichtet Elia Pellegri aus Italien, Begleiterin ist (Korrepetitorin) Ivet Frontela. Film: Barbara Camenzind
Auch wenn die Uttwiler Meisterkurse mit ihren Lehrer- und Schülerkonzerten zu Beginn und Ende des Kurses hochkarätige Veranstaltungen anbieten, die Chance, die Unterrichtsstunden zu besuchen, sollte sich kein Thurgauer Klassikfan entgehen lassen. Das „Wunder der Geburt“ der schönen Töne kann man hier jedes Jahr erleben. Wer die Musse hat, im kommenden August durch den Ort zu flanieren, wird vielleicht Euterpe durch die Gassen huschen sehen. Die Muse der Musik scheint sich hier wohl zu fühlen.
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Die Meisterkurse Uttwil 2016 dauerten vom 21. bis 28. August 2016. Die Meisterkurse 2017 finden zum 10. Mal vom 20. bis 27. August statt. Zum Jubiläum kommen die Meister der ersten Kurse 2008 wieder nach Uttwil: Brigitte Meyer (Klavier), Emil Rovner (Cello) und Heime Müller (Violine).Das vierte Instrument wird eine Bratsche sein (Christoph Schiller).
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Das Organisationskomitee
Dr. Margrit Stickelberger-Eder - Gesamtleitung
Andrea Röst - Administration
Heide Dörpinghaus - Finanzen
Dr. Hansjürgen Warnecke - Webgestaltung, Dokumentation
Prof. Brigitte Meyer - künstlerische Beratung
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Margrit Stickelberger im Gespräch mit Radio Uttwil 2015
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Hinweis
Jeweils ein Absolvent der Uttwiler Meisterkurse bekommt die Gelegenheit, mit der Südwestdeutschen Philharmonie in Konstanz aufzutreten. Das Datum des Konzertes Junger Meister in Konstanz steht schon fest: 15. Oktober 2017, 17 Uhr, in der Stephanskirche Konstanz.
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