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von Mia Nägeli, 28.05.2016

Der Bad Boy und der Besonnene

Der Bad Boy und der Besonnene
Peter Stamm (li) diskutiert mit Lukas Bärfuss (re) unter Moderation von Luzia Stettler, Literaturredaktorin Radio SRF. | © David Nägeli

Am Freitag begann das 1. Frauenfelder Bücherfest. Im Rathaus wurde über Polemik und Politik diskutiert, der Gier nach Geschichten auf den Grund gegangen und gelesen. Und etwas Hitler gab's auch.

David Nägeli

Wieso feiert Frauenfeld die Bücher? Stadtpräsident Anders Stokholm gab mit einigen Beispielen Antwort. Stokholm las einige Passagen aus Kureyshis «Elefanten im Garten», aus der Bibel und aus «Mein Kampf». Das Fazit: Bücher können bewegen – eine einzelne Stadt (#frauenfeldliest), einen Kontinent oder aber auch die ganze Welt. Diese Kraft des Buches, neue Horizonte aufzutun - zum Guten, wie auch zum Schlechten - soll gefeiert werden.

Nicht nur weil er aus der Bibel liest, merkt man dem Stadtpräsidenten Anders Stokholm die Pfarrersvergangenheit an. Bild: David Nägeli

Das Highlight des ersten Bücherfest-Abends war die bereits im voraus gefeierte Diskussion zwischen Peter Stamm und Lukas Bärfuss. Marianne Sax (im Bücherfest-OK für's Programm zuständig) sprach von einem Highlight, das in die «Geschichte von Frauenfeld» eingehen wird. Dass die beiden Autoren gemeinsam auf der Bühne sitzen, ist für die Thurgauer Hauptstadt gewiss ein Novum - ganz so geschichtsträchtig war der Abend aber nicht. Die Positionen der beiden Schweizer Autoren waren bereits bekannt und ein übergreifender Konsens blieb ebenso aus wie neue Erkenntnisse. Dennoch war die Diskussion überlegt, spannend und durchaus lehrreich.

Polemiker trifft auf passives Parteimitglied

Bärfuss gab sich kürzlich der politischen Polemik hin, Stamm (selbst passives Mitglied der Grünen Partei) hingegen äussert sich kritisch gegenüber Schriftstellern, die sich der Politik widmen: «Als Sprachexperten wären sie allenfalls dazu berufen, sich mit der Sprache der Politik zu befassen, statt diese nachzuahmen.» Am Bücherfest bleibt er bei der gleichen Position: «Es braucht keine Texte, die das Volk an die Hand nehmen und sagen: ,Ihr müsst jetzt das tun‘», sagt Stamm. «Wenn Schriftsteller sich der Polemik widmen, ist das, als ob ein Arzt für eine Herzoperation mit einer Axt auftaucht.»

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Lukas Bärfuss erläutert: «Ich gebe meinem Ärger auch als Mensch, als Schweizer, und nicht primär als Schriftsteller Luft.»

 

Bereits am Sprachgebrauch der Autoren auf dem Podium spürt man ihre Positionen: Bärfuss gibt sich direkter, polemischer und erwähnt auch, dass er aus Emotionen heraus schreibt und handelt. «Ich kann auch gar nicht sagen, wo die Literatur endet, und die Politik beginnt», sagt Bärfuss. Er dreht auch mal die Worte von Stamm auf den Kopf. Das sichert ihm den einen oder anderen Publikumsapplaus und unterstreicht seine Meinung - und demonstriert damit aber auch, was Stamm an dieser Rhetorik kritisiert. Schriftsteller hätten keine ausserordentlichen Qualifikationen, um sich zur politischen Lage zu äussern, meint Stamm. Und wenn sie ihren geschliffene Sprache für politische Zwecke nützten, so vergingen sie sich an der Sprache und würden eben jene Rhetorik nutzen, die sie anprangern (sollten).

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An einem Beispiel erläutert Peter Stamm, was ihm häufig an Polemiken von Schriftstellern Mühe bereitet.

 

Schreiben oder Schweigen

Einen gemeinsamen Nenner finden die beiden Schriftsteller nicht, auch wenn man ihnen den Respekt für das Gegenüber und dessen Schaffen anmerkt. Während sich Bärfuss (wohl bewusst) publikumswirksam als «Bad Boy» positionierte - er erzählt, dass er nur ans Lehrerseminar wollte, da dort die «coolen Kids» Marihuana rauchten und Gitarre spielten –, übernahm Stamm eher eine konservativere Stimme der Vernunft: «Wir müssen schreiben, aber wir müssen das intelligent tun, und nicht mit Aggression auf Aggression antworten.»

Bärfuss hingegen argumentierte, dass man vernünftigerweise eben nicht schweigen dürfe. «Wir müssen das freie Reden üben», sagt er. «Denn im 20. Jahrhundert hat man bereits zu oft geschwiegen.» Durchaus ein Glück, dass das Frauenfelder Bücherfest den beiden Gelegenheit geboten hat, über eben jenes Thema zu sprechen, statt zu Schweigen.

Das Orchester der Kantonsschule Frauenfeld spielt vor über 200 Gästen auf den Abend ein. Bild: David Nägeli

***

Die vollständige Diskussion zwischen Peter Stamm und Lukas Bärfuss wird demnächst über das Bücherfest zu hören sein. thurgaukultur.ch wird darauf hinweisen, sobald die Aufnahme zugänglich wird.

www.buecherfest.ch

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