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von Barbara Camenzind, 15.02.2023

Aufbruch jenseits der Stille

Aufbruch jenseits der Stille
Eindrücke aus dem Konzert „Reise mit dem Orient Express 2022“ | © Barbara Camenzind

Wird's politisch, wird's schwierig im Konzert. Stimmt so nicht, findet das Thurgauer Orchesterkollektiv Camerata Aperta. Mit „art destroys silence“ wollen die Musiker:innen ein starkes Zeichen gegen den Krieg setzen. Am 25. & 26. Februar im Thurgau. (Lesedauer: ca. 2 Minuten)

Musiker:innen leben nicht entrückt dieser Welt, sondern in ihr. Und in dieser brennt es seit dem Februar 2022. An den Krieg in der Ukraine habe man sich brutalerweise fast gewöhnt, erklärt Cellist Johannes Herzog, der zum Kernteam von Camerata Aperta gehört. Das Streicherkollektiv öffnet sich darum wieder in eine neue Richtung. Weil das Bedürfnis da sei, dem Schrecken, dem Würgegriff der Angst, aber auch der Hoffnung einen Ausdruck zu geben.

Gar nicht einfach, so ein Programm zu erstellen. Der Krieg brauchte die Musik und missbrauchte sie auch - zu Propagandazwecken, oder im Nationalismus. Und manches ist auch einfach zu plakativ.

Wie schon bei den letzten beiden Konzerten „Eine Reise im Orientexpress“ und „of hope and glory“ bewies die Camerata Aperta vorzügliche Werkkentnisse, daher wirkt auch beim kommenden Konzert, zusammen mit der brandaktuellen Thematik, die Auswahl sehr vielversprechend.

Schreker, Schostakowitch, Svendsen und Telemann

Franz Schrekers Scherzo für Streichorchester, das er 1899 schrieb, gehört zu der abgründig schönverwobenen Streichermusik, wie sie nur aus der Wiener Spätromantik stammen kann. Vom Gefecht in der menschlichen Seele zum Klang: Der Komponist war mit seinen von Freuds Psychoanalyse inspirierten Opern berühmt geworden.

Mit Dimitri Schostakowitschs Kammersinfonie op. 110a in c-Moll will die Camerata ein wahres Chamäleon der Musikgeschichte ins Programm bringen. Der sowjetische Komponist hatte sich mit Anpassungsfähigkeit, grossem Können, aber auch frechfreitonalen Spielräumen und rabenschwarzen Zwischentönen im totalitären System seiner Heimat behaupten können. Nicht umsonst beschrieb der Cellist Rostropowitsch sein Werk als Geheimgeschichte der Sowjetunion.

Bewusstsein für Heimat schaffen

Die wunderschöne Romance op. 26 des Norwegers Johan Svendsen für Violine und Orchester lässt das Prinzip Hoffnung ertönen. Die skandinavischen Nationalstile in der Musik des 19. Jahrhunderts waren nie propagandistisch-angriffig ausgelegt, sondern sollten ein Bewusstsein schaffen für das Prinzip Heimat.

Barockmeister Georg Philipp Telemann aus Hamburg, dem als alter Hanseat bewusst war, wie wichtig es war, ohne Krieg Handel treiben zu können, wird am Ende mit seiner „Ouverture-Suite Les Nations“ die Völker hoffentlich friedlich vereinen. Und sei es einfach in einem der beiden Konzerte im Thurgau. Die Hoffnung stirbt zuletzt.

Hohes Mass an Eigenverantwortung

Das anstehende Programm zeigt: Gerade leicht macht es sich die Camerata Aperta nicht. Und das ohne Dirigent:in? Das gehe gut, erklärt Johannes Herzog im Gespräch. Es entstünde in den Proben und am Konzert ein anderer Fokus, mehr in die Runde, als auf einen Menschen zentriert.

Damit etwas weitergehe, sei ein hohes Mass an Eigenverantwortung und Achtsamkeit nötig, oft entstünden auch in den Konzerten eine neue Dynamik an Phrasierungen, weil jeder auf jeden reagiere.

In Zeiten, in denen Konzerthäuser mit stehenden Orchestern das Prinzip Generalintendanz top down zementieren, wirkt so ein junges Profikollektiv charmant geschmeidig und urdemokratisch.

Professionalität und Chemie müssen stimmen

Natürlich würden sie gut auswählen, wer mitmachen könne, sagt der Cellist. Es gebe kein Vorspiel, es müsse einfach passen. Das Kollektiv kenne sich aus anderen Projekten und es werde sehr darauf geachtet, dass mit der Professionalität auch die Chemie stimmt. Obwohl die Zusammensetzung sicher dynamischer sei, als in anderen Orchestern, spielen sie sie sich sorgfältig zusammen. Und jeder sei wichtig: Die Barockexpertin, wie die Komponistin an der Geige.

Die Camerata Aperta ist eine junge, eher kleine Formation, in der solche Zusammenarbeitsformen gelingen, wenn man sich gut schaut. Mit etwas Mut - vor allem Mut zur Eigenverantwortung könnte das auch bei grösseren Klangkörpern funktionieren. Es gibt an den Konzerten in Weinfelden und Illighausen Gelegenheit zu erleben, wie Musik aus verschiedenen Jahrhunderten in einer höchst gegenwärtigen Besetzung funktioniert.

 

Die Konzerte

art destroys silence- Camerata Aperta

25.2. 2023 Weinfelden Rathaussal, 19 Uhr

26.2. 2023 Illighausen, Mehrzwecksaal (Kirchstrasse 3)  18 Uhr

 

 

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