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von SAITEN / Peter Surber, 15.05.2018

Spekulanten im Container

Spekulanten im Container
Der Theatercontainer, hier auf dem St.Galler Marktplatz, tourt ab September durchs Rheintal. | © Theater St. Gallen/Lorena La Spada

Das Theater St.Gallen reist durchs Rheintal und ins Toggenburg, spielt Musik für Games und kündigt diverse Schweizer Erstaufführungen an: Der Spielplan 2018/19 stösst ein paar neue Türen auf.

Von Peter Surber

Alle rennen herum – das Theater lädt ein zum Innehalten und Nachdenken über Sinn und Unsinn unseres Tuns: So sieht Schauspieldirektor Jonas Knecht Aufgabe und Chance des Theaters, wie er an der Medienkonferenz zur Saison 2018/19 erklärte. In seiner dritten St.Galler Spielzeit soll sich alles um den Menschen drehen und seine «Räderwerke» in Beziehungen, Familie und Gesellschaft.

Klassiker zum weitläufigen Thema sind Tschechows «Kirschgarten», «Endstation Sehnsucht» von Tennessee Williams oder «Szenen einer Ehe» nach Ingmar Bergman. Daneben dominieren Ur- und Erstaufführungen, allen voran zwei Auftragsstücke des Theaters.

Repression, Sterbehilfe, Schulgewalt

Philippe Heule, der Rheintaler Autor, riskiert mit «Spekulanten» eine Zustandsbeschreibung seiner Heimatregion – das «Volksstück» aus seiner Feder und unter seiner Regie tourt ab September im Container von St.Gallen talaufwärts bis Chur. Ebenfalls als St.Galler Auftrag nimmt sich Darja Stocker in «Ausgegrenzt und weggesperrt» die üble Geschichte des «Fürsorgerischen Freiheitsentzugs» vor, unter dessen Regime bis 1981 Tausende von Jugendlichen und Erwachsenen in Anstalten eingesperrt, zwangssterilisiert oder zwangsadoptiert wurden. Das Theater setzt damit nach Das Schweigen der Schweiz und Lugano Paradiso seine Auseinandersetzung mit Schweizer Befindlichkeiten fort.

Ein anderes kontroverses Thema, die Sterbehilfe, behandelt der junge deutsche Autor Konstantin Küspert, und ebenfalls erstmals in der Schweiz (worauf St.Gallen stolz sein könne) ist «Versetzung» von Thomas Melle zu sehen, ein Stück um einen Lehrer mit manisch-depressiver Krankheit. Schule und Klassengewalt thematisiert das Jugendstück Verrücktes Blut, entspannen und amüsieren kann man sich in Michael Frayns Komödienklassiker Der nackte Wahnsinn. Kinder kommen bei Dornrösli bockt von Anja Horst und den neuen Abenteuern von Räuber Hotzenplotz auf die Rechnung.

Das Theater setzt zudem noch vermehrt auf Kooperationen. Es macht wiederum mit beim Autorenförderprojekt Dramenprozessor. Unter dem Titel «Schauspielstudio» kommen zwei Absolventen der Hochschule der Künste Bern ins Schauspielensemble, und die Tanzkompagnie bietet dasselbe Studierenden der London Contemporary Dance School.

Geld und Macht

Tanzchefin Beate Vollack verwandelt in ihrer letzten St.Galler Spielzeit die Lokremise in ein Casino und fragt unter dem Titel verzockt nach dem Glück und Unglück des Spiels. Mit künstlichen Welten und künstlicher Intelligenz beschäftigt sich die Tanzproduktion «Coppél-A.I.», eine zeitgemässe Umdeutung des Coppelia-Stoffs. Zur Saisoneröffnung choreographiert Vollack auf der grossen Bühne Haydns «Jahreszeiten» in Koproduktion mit ihrem künftigen Arbeitsort Graz.

Um Macht und Verführung soll es im Musiktheater in der kommenden Spielzeit gehen; das Zentralwerk dazu ist Verdis «Don Carlo» zum Saisonauftakt. Das heitere Gegenprogramm heisst zum Beispiel «Hello Dolly» mit Dagmar Hellberg und Walter Andreas Müller oder «L’elisir d’amore». Operndirektor Peter Heilker kündigt aber auch Raritäten an, so Monteverdis «Poppea» auf neuen statt alten Instrumenten in der Fassung von Ernst Krenek aus den 1930-Jahren. Oder als Schweizer Erstaufführung den Einakter «Der unsterbliche Kaschtschei» von Nikolai Rimski-Korsakow, zusammen mit Strawinskys «Nachtigall». Zwei Jahre nach Henzes Pollicino plant das Theater löblicherweise zudem wieder eine grosse Kinderoper in der Lokremise: «Cinderella» von Peter Maxwell Davies.

Final Fantasy in der Tonhalle

Klingende Repertoire-Namen wie Verdi oder Donizetti fehlen, mit Beethoven, Brahms oder Tschaikowsky, auch im Tonhalleangebot der nächsten Spielzeit nicht. Aber darüber hinaus gibt es ein paar faustdicke Überraschungen, die den Klassik-Mainstream unterlaufen.

Eine davon heisst «Final Fantasy Symphonic Memories» mit Musik zum gleichnamigen Game. Das Konzert Anfang Juni 2019, mit Klavier, Orchester, Dirigent und darüberhinaus eigenem Produzenten, dürfte über die Abonnenten hinaus ein Publikum ansprechen, das sonst kaum in der Tonhalle verkehrt. Über die Grenzen und die eurozentristischen Scheuklappen hinaus blickt die Tonhalle mit der Einladung des Gurdijeff Ensembles aus Armenien. Es bringt Instrumente wie Duduk, Zurna, Pku, Blul, Kamantsche, Tar, Dap, Dhol oder Kshots zum Klingen, in einem kommentierten Konzert und innerhalb des Meisterzyklus-Abonnements, das damit einen Termin mehr als üblich zum selben Preis bietet, wie Konzertdirektor Florian Scheiber betonte.

Andere Repertoireerweiterungen verspricht der neue litauische Chefdirigent Modestas Pitrenas. Der Mann, der ein Orchester «zum Glühen bringen kann» (Scheiber), wird aus dem Schmelztiegel Baltikum unter anderem Nordisches (Jon Leifs, Grieg, Sibelius) und Slawisches (Schostakowitsch, Dvorak, Lutoslawski, Mussorgski u.a.) nach St.Gallen bringen. Und er macht zusammen mit seiner Frau, der Sängerin Ieva Prudnikovaite, mit dem US-Komponisten Peter Lieberson und seinen Neruda Songs bekannt. Ein Meisterzyklus-Highlight dürften die zwei Abende des Cellisten Pieter Wispelwey mit allen Bachsuiten sein.

Auf zum mobilen Theater

Erneut spielt das Orchester zudem wieder ein Konzert auf dem Chäserrugg. Dank ihm, dank mobilen Orchester- und Kinderproduktionen und mit der Container-Reise des Schauspiel-Ensembles nehme das Haus seine Aufgabe als «Kantonstheater» ernst, hiess es an der Medienkonferenz. Einen direkten Zusammenhang mit der ab 2020 geplanten Renovation gebe es zwar nicht, sagte Direktor Werner Signer; vielmehr sei gerade der Container von Beginn weg ein Anliegen von Schauspieldirektor Jonas Knecht gewesen. Er sei aber «überglücklich» über den positiven Volksentscheid von Anfang März und freue sich auf die Sanierungszeit und die Chance, ein ganz anderes, mobiles Theater zu bieten, sagte Signer.

Werbung für die Festspiele: Mit einem Cabrio will das Theater die Zuschauer um Aufmerksamkeit bittenWerbung für die Festspiele: Mit einem Cabrio will das Theater die Zuschauer um Aufmerksamkeit bitten. Bild: Peter Surber

Mobilität der anderen Art ist bereits jetzt im Theaterfoyer zu erleben. Dort ist ein schwarzglänzender BMW aufgefahren. Kostenpunkt laut Werbetafel: 101’540 Franken. Wer beim Wettbewerb den richtigen Namen des Autos errät und das grosse Los zieht, darf das Cabrio ein Wochenende lang fahren. Das Auto wirbt für den Hauptsponsor der St.Galler Festspiele. Auf dem Klosterhof ist dieses Jahr vom 19. Juni bis 13. Juli Puccinis Edgar zu sehen. 2019 dann brechen die Festspiele für einmal mit der Tradition, unbekannte Werke ans Tageslicht zu holen – und spielen Verdis Trovatore.

Dieser Text erschien zuerst auf www.saiten.ch      

 

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