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von Inka Grabowsky, 18.04.2018

Sichtbar machen, was sonst verborgen ist

Sichtbar machen, was sonst verborgen ist
Taucharchäologen bei der Arbeit unter Wasser | © Amt für Archäologie Thurgau

Seit Anfang März erforschen Taucher vom Amt für Archäologie vor Güttingen eine Pfahlbausiedlung rund um den Mäuseturm. Bei einem Tag der offenen Tür stellen sie der Öffentlichkeit jetzt erste Ergebnisse vor.

Von Inka Grabowsky

Jeden Tag steigen derzeit vier Taucher und eine Taucherin in den 8 Grad kalten Bodensee, um möglichst viel über das „Pre-Güttingen“ herauszufinden, das hier vor rund 3000 Jahren stand. Vor dem Hafen in der Nähe des Mäuseturms liegt ihre High-Tech-Badeinsel, von der aus sie in drei bis vier Meter Tiefe herabtauchen. Ihr Ziel sind die Reste von Pfahlbauten, die 2008 entdeckt worden waren. „Wir wussten schon lange von Pfählen aus den 12. Jahrhundert“, sagt Simone Benguerel vom Amt für Archäologie. „Bei Untersuchungen von Proben haben wir dann aber Hölzer entdeckt, die aus der Spätbronzezeit stammen, also dem Jahr 1000 vor Christus. Gleichzeitig mussten wir feststellen, dass diese Pfähle sehr stark verfallen sind.“ Die Natur ist in den letzten 3000 Jahren nicht gerade pfleglich mit den Stämmen umgegangen. Wenn sie jetzt nicht untersucht werden, ist vielleicht bald nichts mehr von ihnen übrig.

Erste Ergebnisse zeigen Erstaunliches 

Zu ihrer Überraschung konnten die Wissenschaftler feststellen, dass die Pfahlbausiedlung viel grösser war als bisher angenommen. „Sie dürfte mindestens 200 mal 100 Meter bedeckt haben. Das ist riesig für damalige Verhältnisse. Die Fundstelle in Unteruhldingen ist vergleichbar gross.“ Eigentlich hatte ohnehin niemand damit gerechnet, dass es noch Pfahlbau-Entdeckungen im Bodensee geben würde. Man glaubte, im Wasser alles gefunden zu haben, was sich erhalten hat. Nun muss neu überlegt werden. „Wir wissen jetzt, dass es sich lohnen könnte, im Wasser dichter an der tiefen Seehalde zu suchen. Möglicherweise müssen wir von einem völlig anderen Pegelstand zur Bronzezeit ausgehen“, meint die Archäologin. Üblicherweise stellt man sich vor, dass die Pfahlbauer ihre Häuser auf Stelzen ins Wasser gebaut haben. Das ist aber keine Gewissheit. Denkbar wäre auch, dass die Siedlung am Ufer stand. Die Pfähle wären dann nur eine Vorsichtsmassnahme für den Fall von Überschwemmungen gewesen.

Simone Benguerel von Thurgauer Amt für ArchäologieSimone Benguerel von Thurgauer Amt für Archäologie. Bild: Inka Grabowsky

Was auch im See gefunden wird: Golfball und Tonscherben

Ziel der Prospektion vor Güttingen ist es, die Ausdehnung und das Alter der Siedung festzustellen. Zwei Linien kreuz und quer zum Mäuseturm werden abgesucht. „Ausgrabung“ ist dafür nicht ganz das richtige Wort: Die Taucher wedeln mit der Hand feine Sedimente zur Seite. Schon dabei finden sie Bemerkenswertes. „Heute ist das vierte Beil zu Tage gekommen“, so Benguerel. Dazwischen gibt es die sogenannten Grossmutterfunde: einen Krug und einen Schuh aus vergangenen Jahrzehnten oder ein Golfball aus jüngerer Zeit. Für die Archäologen spannender sind Scherben von Gefässen, die seit 3000 Jahren auf dem Seegrund liegen. Ihre einst glatte Oberfläche ist längst abgeschmirgelt, so dass Tonbeifügungen zu sehen sind. „Die Erosion hat daran genagt“, formuliert die Expertin. „Tierknochen oder Textilien, die sich an anderen Stellen finden lassen, gibt es hier nicht, das ist alles durch den Wellenschlag fortgeschwemmt.“ Eine Kulturschicht, die anderswo interessante Rückschlüsse auf das Leben früherer Bewohner zulässt, hat sich nicht erhalten.

Das Fundmaterial wird kartiert und gegebenenfalls geborgen – denn die Taucher nehmen bei weitem nicht alles mit, was sie finden. „Wir brauchen Holzproben, um über die Jahresringe das Alter der Pfähle festzustellen. Ansonsten nehmen wir nur mit, was von der Erosion in seinem Erhalt bedroht ist.“ Schliesslich haben spätere Forscher eventuelle bessere Methoden. In diesem Zusammenhang bitten die Archäologen auch Hobbytaucher, nichts vom Seegrund mitzunehmen – nicht einmal, um es beim Kanton abzuliefern. „Um die Bedeutung eines Objekts einzuschätzen, brauchen wir den Gesamtzusammenhang“, erklärt Benguerel.  Nach der Auswertung aller Daten entscheiden die Archäologen, ob sie im nächsten Frühjahr noch einmal eine Ausgrabungsstelle einrichten. „Wir müssen Prioritäten setzen. Dort, wo die Erosion am meisten kaputt macht, forschen wir als nächstes. Für Güttingen sind ein paar Fragen unseres Katalogs schon jetzt beantwortet, dafür sind andere dazu gekommen."
 

Tag der offenen Tür am 20. April

Tag der offenen Tür am Freitag, 20. April, ab 15 Uhr bis mindestens 17 Uhr am Hafen in Güttingen: An mehrere Stationen kann man die Funde der Archäologen bewundern und sich die Beprobungen und Jahresringmessung erklären lassen. Ein Unterwasservideo zeigt, was die Taucher sehen. Und je nach Wetter können Besucher in Gruppen eine Bootstour zur Tauchinsel und zurück machen. „Wir sind gespannt, wie viele kommen, wenn wir etwas sichtbar machen, was sonst verborgen bleibt“, sagt Simone Benguerel.

 

Nach dem Tauchgang wird sortiert, beschriftet und dokumentiert.Nach dem Tauchgang wird sortiert, beschriftet und dokumentiert. Bild: Inka Grabowsky 

Rund 3000 Jahre alte Pfähle, abgenagt von den Wellen und nun bereit für die dendrochronologische UntersuchungRund 3000 Jahre alte Pfähle, abgenagt von den Wellen und nun bereit für die dendrochronologische Untersuchung. Bild: Inka Grabowsky

Die Arbeitsplattform der Forschungstaucher über den Resten des Mäuseturms.Die Arbeitsplattform der Forschungstaucher über den Resten des Mäuseturms. Bild: Inka Grabowsky

 
 

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