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von Barbara Camenzind, 26.02.2018

Orpheus vom See

Orpheus vom See
Zwei Mal Orpheus: David Lang unter dem Bildnis des mythischen Sängers - in der Kantonsschule Frauenfeld | © Barbara Camenzind

Er kann singen. Er kann Klavier spielen. Er erzählt Geschichten, die das Leben schrieb oder schreiben könnte. Der Musiker David Lang bedient keine Schubladen. Wenn, dann wühlt er lustvoll in ihnen herum. In seinem Programm „Mondjammern“, mit dem er derzeit durch die Ostschweiz tourt, treffen poetische Töne auf freche Alltagserlebnisse. Und zeigt, dass das „Lieder machen“ in der Schweiz nicht einfach den Bernern überlassen werden sollte. Der Thurgauer Lang kann das genau so gut. Auf seine ganz eigene und originelle Weise.

Von Barbara Camenzind

Wem das Sprachidiom „St. Gallen - Kreuzlingen" in die Wiege, pardon, Kehle gelegt wurde, hat ein Problem westlich von Winterthur. „Gääggig“ sei unser Dialekt. Das ist noch das Netteste was Ostschweizer zu hören bekommen. Und die Gesangspädagogen wundern sich, wie man mit so einer Halskrankheit aufwachsen kann. Flache Vokale und gutturale Konsonanten verhindern das Öffnen der Kehle, klagen sie. Alles Mumpitz.

Der in Mammern geborene Weltenbürger David Lang ist mit einem farbigen, charmant klingenden und stimmlich gut sitzenden Tenor ausgestattet und geht nicht kaputt, wenn er thurgauerisch singt, im Gegenteil. Zusammen mit seiner aparten Erscheinung ein absolutes Bühnentier, dem man den Herzog von Urbino in „Einer Nacht in Venedig“ von Johann Strauss genau so glauben würde, wie wahrscheinlich auch den gütigen Titus in Mozarts gleichnamiger Oper. Nur foutiert er sich darum, in die Klassikschublade gestopft zu werden.

Da gibt es ja auch noch den Pianisten David Lang und den Komponisten, die alle zusammen machen ein Musikereignis aus, das erstens handwerklich grossartig, kompositorisch versiert und dann auch noch sehr, sehr originell „überechunnt“. Wer hat schon mal ein Lied über das Wort „mudrig“ gehört? (Für alle Nichtthurgauer: Ein Zustand im Bereich „unlustig“.) Oder die „Einsprachen-Kantate“ (ein Blues), der das „ach so gute“ helvetische Nachbarschaftsverhältnis skizziert. Vielleicht etwas zu ehrlich, um als neue Nationalhymne vorgeschlagen zu werden.

Geschmackvoller Frechdachs

David Langs musikalische Geschichten mäandern zwischen herrlich absurden Tagesgeschehnissen, wie dem „Runggletransport“ der die Fahrt ins Büro verzögert, deswegen der Stress mit einer doppelten Portion Zucker aus Rupperswil im Kaffee abgebaut werden muss. Seine Oden an den Bodensee, an die Landschaft seiner Heimat erzeugen Gänsehaut. „I fühl mi do dihei“ ist eine wunderbare Liebeserklärung.

Natürlich kommt der tenorale Allrounder nicht an der Musik der 20er Jahre vorbei. Geschmackvoll, weil eigenständig, setzt er nicht auf schnarrende Schlager, sondern orientiert sich an der damals sehr beliebten ägyptischen Jazz-Operette. Kleopatra, Cäsar und Caesarion im munteren Reigen augenzwinkernd besungen. Sogar eine Konzertrezensentin wird mit einem Liedchen bedacht, die einen Abend lang angeschmachtet, leider dann das Gehörte  eiskalt auseinandernimmt. Nun, wir haben keinen Grund eiskalt zu sein, auch wenn wir unbestechlich sind. Der Abend im Musiksaal der Kantonsschule Frauenfeld war ein herzerfrischendes Erlebnis. Vom Fresko der kleinen Kuppel blickte der thrakische Sänger Orpheus auf den thurgauischen Orpheus vom See. Er schien sehr zufrieden.

Weiterlesen. Ein ausführliches Porträt über David Lang können Sie hier lesen: Der Komponist und Musiker David Lang ist seit einigen Monaten zurück in seiner Heimat, dem Thurgau. Er erzählt, warum 2017 für ihn und seine Karriere ein entscheidendes Jahr war, wie seine Musik entsteht und welche Pläne er hat: https://www.thurgaukultur.ch/magazin/3445/ 

Termine: Mit dem Programm "Mondjammern" gastiert David Lang am Freitag, 9. März, 20 Uhr, auch im Kulturforum Amriswil. Weitere Konzertdaten im Überblick gibt es hier.

www.davidlang.ch

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