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Kritik an neuer Ausstellung im Napoleonmuseum

Kritik an neuer Ausstellung im Napoleonmuseum
Schon Schweizer oder noch Deutsche? Adolf Merk (links im Bild mit Bart) und Richard Adler haben sich freiwillig zum Kriegsdienst gemeldet. Um die beiden Protagonisten der neuen Ausstellung des Napoleonmuseums entbrennt jetzt ein Streit zwischen Historikern. | © Napoleonmuseum Thurgau

Wann ist ein Schweizer ein Schweizer? Die Debatte um die Weltkriegs-Ausstellung im Napoleonmuseum geht weiter. Jetzt wirft der Historiker Arnulf Moser dem Museum Ungenauigkeit vor

Von Michael Lünstroth

Seit knapp drei Wochen läuft die neue Ausstellung „Wir waren auch dabei - Männer aus der Schweiz und das Konstanzer Regiment Nr. 114 im Krieg 1914 - 1918“ im Napoleonmuseum und jetzt gibt es Zweifel an ihrer Seriosität. Formuliert werden diese Zweifel vom deutschen Historiker Arnulf Moser. Er hat selbst zu dem Thema geforscht. 2016 erschien sein Aufsatz „Deutsche Soldaten aus der Schweiz im Ersten Weltkrieg“ in den Schriften des Vereins für Geschichte des Bodensees und seiner Umgebung (Jan Thorbecke Verlag). Darin beschreibt er unter anderem wie die damals in der Schweiz lebenden Deutschen zum Wehrdienst einberufen wurden. 

Was Arnulf Moser an der Arenenberg-Ausstellung vor allem stört ist, dass der Eindruck erweckt werde, Schweizer Bürger hätten im Ersten Weltkrieg auf Seiten des Deutschen Heeres gekämpft. Dies sei aber nicht belegbar: „Ausstellungsmacher Dominik Gügel kennt oder nennt keinen einzigen Schweizer Staatsbürger, der 1914 in die deutsche Armee gegangen ist. Als Motive für ein Engagement nennt er Abenteuerlust, Söldnertradition, Flucht vor Strafen, finanzielle Gründe. Wo soll der finanzielle Anreiz sein für einen einfachen Soldaten in deutschen Diensten? Lieber nach Verdun als in ein Schweizer Gefängnis? Aus der Tatsache, dass Wilhelm II. 1912 in der Ostschweiz freundlich begrüßt wurde, folgt doch nicht, dass man sein Leben für das Kaiserreich einsetzen wollte“, so der Historiker in einer E-Mail an thurgaukultur.ch 

«Jeder einzelne Fall müsste nachgewiesen werden»

Nach seinen Recherchen liessen sich einige Behauptungen in der Ausstellung nicht historisch belegen. „Am ersten Kriegstag hat das deutsche Generalkonsulat in Zürich alle gedienten und ungedienten deutschen Männer  in der Schweiz aufgerufen, nach Deutschland und in den Krieg zu ziehen. Im Laufe des Kriegs sind etwa 50.000 Männer aus der Schweiz gekommen. Das sind Deutsche. Sollten darunter freiwillige Schweizer gewesen sein, müsste das in jedem Einzelfall nachgewiesen werden. Die Zeitung Tagblatt berichtet am 1.11.2014 über eine Ausstellung in Romanshorn über Romanshorn im Ersten Weltkrieg. Da gibt es ein Extrakapitel über einen Schweizer aus Romanshorn, der in die österreichische Armee gegangen ist und bei den Tiroler Kaiserjägern gedient hat. Das wurde zu Recht als ungewöhnlich empfunden. Es gibt eine wissenschaftliche Publikation über Schweizer in den verschiedenen Heeren des Ersten Weltkriegs. Da werden ein paar Leute aus dem Kanton Neuenburg genannt, die nach Deutschland gegangen sind. Aber das Gebiet gehörte im 19. Jht.  zu Preussen. Ostschweiz: Fehlanzeige.“ 

Bild: Arnulf Moser

Die Gedenktafel an der Kapelle Bernrain für 30 im Ersten Weltkrieg gefallene Soldaten aus Emmishofen. Darunter steht: Sie starben für das Vaterland. Gedenket ihrer im Gebet. "Also sind es Deutsche", folgert der Historiker Arnulf Moser. Bild: Arnulf Moser

Nach Kriegsende habe die Schweiz die Grenze für deutsche Soldaten mit Wohnsitz Schweiz zunächst geschlossen, aus politischen (Revolution), ökonomischen (Arbeitsmarkt) und hygienischen (Seuchengefahr) Gründen. Viele seien endgültig abgewiesen worden. „Es ist nirgends davon die Rede, dass Schweizer Soldaten aussortiert wurden und heimkehren konnten. Es gibt keine Berichte, wie sie aufgenommen oder behandelt  wurden“, so Moser. Der Konstanzer Historiker stört sich vor allem an der unsauberen Verwendung von Begriffen wie „Schweizer“ und „Thurgauer“: „Im allgemeinen Sprachgebrauch ist ein Thurgauer ein Schweizer, der im Thurgau lebt. Wenn man jetzt den Begriff Thurgauer auch für die im Thurgau lebenden Deutschen verwendet, dann entstehen die Missverständnisse, die wir jetzt mit dieser Ausstellung haben.“

Der Unterschied zwischen Schweizern und Schweizer Männern

Napoelonmuseums-Direktor Dominik Gügel hält die Diskussion um seine Ausstellung für "akademisch". Die Sichtweise von Arnulf Moser sei eine Einzelmeinung, die man zwar vertreten könne, so Gügel. Ihn als Ausstellungsmacher hätten aber ganz andere Dinge interessiert. "Aus den Reaktionen unserer Besucher können wir erkennen, dass es sie nicht interessiert, ob die Männer damals schon Schweizer waren. Sie interessieren sich aber für die Geschichte ihrer Vorfahren. Ob die vorher Deutsche oder Schweizer waren spielt da keine Rolle", so Gügel auf Nachfrage. Wie viele der genannten 50.000 Männer aus der Schweiz im Deutschen Heer wirklich auch im rechtlichen Sinne Schweizer Bürger waren, könne man derzeit ohnehin nicht sagen. Die Recherchen dazu stünden erst am Anfang, die Recherchewege seien zudem kompliziert, nicht alle Daten, die man bräuchte für einen eindeutigen Befund seien derzeit zugänglich. Im Begleitbuch zur Ausstellung führt der Museumschef das noch etwas weiter aus: "Die publizierten Verlustlisten des Ersten Weltkriegs (Tote/Verwundete/Vermisste/Gefangene zusammen) nennen ca. 3900 Personen aus der Schweiz. Die tatsächliche Zahl liegt aber wesentlich höher, da bei den Herkunftsorten (zum Beispiel Basel) die Bezeichnung "Schweiz" oft fehlt." Auch deshalb betont Gügel, dass in seiner Ausstellung und im Begleitbuch semantisch immer korrekt von „Männern aus der Schweiz“ gesprochen werde und eben nicht von „Schweizer Männern“. Alles also nur eine Frage der semantischen Interpretation? Wohl kaum. 

Die unterschiedliche Lesart der beiden Historiker entstammt wohl auch ihrem Erkenntnisinteresse. Arnulf Moser geht es um die juristische und historische Genauigkeit. Für die Ausstellungsmacher um Dominik Gügel war die Frage des juristischen Einwohnerstatus der Männer letztlich irrelevant, erklärt der Museumschef. Denn: „Auch wenn viele der Männer damals vielleicht juristisch keine Schweizer waren, viele von ihnen sind es nach dem Krieg geworden, weil sie sich in der Schweiz niedergelassen haben, möglicherweise eingebürgert wurden, ihr neues Leben dort aufbauten und so die Geschichte des Ersten Weltkriegs und ihre Erlebnisse auch in das nationale Gedächtnis der Schweiz eingeschrieben haben“, sagt Gügel. Genau diese Geschichten sind es, die die Ausstellungsmacher im Napoleonmuseum erzählen wollen.

 

 

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