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von Samantha Zaugg, 02.03.2020

Keine verlorene Generation

Keine verlorene Generation
Der Roman soll keine Kritik sein an der Generation der Millennials, sagt die Autorin Olivia Grubenmann. Ist es dann aber irgendwie doch. Das Foto entstand bei ihrer Lesung am 24. Februar (2020) in Zürich. | © Samantha Zaugg

Olivia Grubenmann liest aus ihrem Debütroman. In einem Atelieraufenthalt in Zürich konnte sie ihren Roman beinahe fertigstellen. Im Buch geht es um Millennials, die Generation, die alle Möglichkeiten hat, aber nichts damit anzufangen weiss. So lautet jedenfalls das Klischee.

Zürich, Strauhof, erster Stock. Der Saal ist voll. Nichts verweist darauf, dass es sich um die erste Solo-Lesung einer jungen Autorin handelt. Es könnte geradesogut eine normale Lesung eines etablierten Schriftstellers sein. Doch nicht nur das Setting ist professionell, auch der Auftritt der Autorin.

Niemand würde denken, es sei Olivia Grubenmanns erste Lesung. Von Aufregung keine Spur. Souverän und ruhig liest sie aus ihrer Arbeit, unterhält sich mit Mentor Karl Rühmann. Gibt Statements zu Plot und Protagonistin, beantwortet charmant Fragen aus dem Publikum. Aufgewachsen ist sie in Wuppenau im Thurgau. 

Worum es in dem Roman geht

Ihr Roman trägt den Arbeitstitel «Milennials». Protagonistin ist die 23-jährige Vivienne. Sie hat ihr Studium abgeschlossen, tut sich schwer damit, den Einstig in die Arbeitswelt zu finden. Mit einer Praktikumsstelle bei einer Marketingagentur und einem Aushilfssjob in einem Sandwichstand hält sie sich über Wasser. Sie kommt aus einer intakten, aber angespannten Familie. Die Schwester ist schwer verunfallt, sitzt im Rollstuhl: Ihr Traum vom Beruf als Bergführerin wurde ihr genommen. Dem gegenüber steht Vivienne, der alle Möglichkeiten offenstehen, die aber nicht genau weiss was anfangen damit. Ein Konflikt.

Dann ist da Lukas, ein Schriftsteller, den Vivienne bei der Arbeit im Imbiss kennenlernt. Er ist Autor, plagt sich mit seinem aktuellen Fantasyroman. Vivienne hilft ihm, sein Manuskript fertigzustellen. Grubenmann nutzt die Metaebene als Stilmittel. Protagonistin Vivienne hat Mühe, ihre Gefühle für Lukas zum Ausdruck zu bringen. Also lässt sie die Protagonistin im Fantasyroman für sich sprechen.

Ausdruck, Sprache, Stil, alles sitzt. Doch es regt sich die Sorge, dass die Millennials flach, klischiert dargestellt werden. So, wie Boomer das Bild der Generation zeichnen würden. «Die Generation der Millennials wird zum Problemfall», titelt beispielsweise die NZZ am Sonntag. Verwöhnt, egozentrisch, opportunistisch, anspruchsvoll, diese Attribute werden den Milennials zugeschrieben. Und dann kommt Olivia Grubenmann und stimmt mit ihrem Roman ein in den Tenor.

Will Geschichten erzählen: Jung-Autorin Olivia Grubenmann. Bild: zVg

Der eigenen Generation in der Rücken gefallen?

Nein, so sei es nicht, sagt Olivia Grubenmann. Der Roman soll keine Kritik sein an der Generation der Millennials: «Im Buch wird klar, dass es für junge Menschen nicht einfach nur easy ist. Vivienne arbeitet hart, hält sich mit zwei Praktikumsstellen über Wasser. Weil sie so viel arbeitet bleibt ihr keine Zeit, sich mit Jobsuche zu beschäftigen und Bewerbungen zu schreiben.»

Eine weitere Szene aus dem Roman spielt in einem Zürcher Hipster Restaurant. Vivienne ist mit Kolleginnen da. Die sind Influencerinnen. Es wird beschrieben, wie die Frauen ihr Menu zusammenstellen, nach ästhetischen Kriterien, wie sie dann zuerst alles Fotografieren und eine von ihnen geht ohne einen Bissen angerührt zu haben, weil sie auf ihre Figur achten müsse.

Die Anziehungskraft von Instagram & Co.

Die hohle Welt der schönen Frauen auf Instagram. Ist das nicht ein bisschen einfach? Immerhin haben die Millennials viel erreicht. Sie sind so politisch, wie lange keine Generation vor ihnen. Sie haben den Klimawandel in die politische Agenda gehievt, bringen mit ihrem Aktivismus etablierte Politiker in Bedrängnis und haben zur Erstarkung des Feminismus beigetragen. «Ich möchte nicht alle Millennials in einen Topf werfen. Aber gerade mit Instagram und anderen sozialen Netzwerken sind wir schon sehr absorbiert. Es ist etwas, das sehr präsent ist und unseren Alltag durchdringt.»

Und was ist mit der negativen Haltung gegenüber Instagram? Das Konzept, in dem man sich nur von seiner besten Seite zeigt ist überholt. Bewegungen wie Body-Positivity, Umgang mit psychischen Krankheiten, Aktivismus, Selbstermächtigung von Minderheiten, all das findet in sozialen Netzwerken Platz. «Es kommt darauf an, was man sich auf Instagram anschaut. Ich will das nicht grundsätzlich verurteilen. Aber je nach dem, wie man damit umgeht, kann es sehr schlecht sein. Vivienne ist eher unsicher, es tut ihr nicht wirklich gut», sagt Grubenmann.

Die Frau gibt Tipps, der Mann steht auf dem Cover

In einer weiteren Passage besprechen Vivienne und Lukas sein Manuskript. Sie gibt Tipps für Figuren und Plot. Ein schwieriges Thema, hat die unbezahlte Arbeit von Frauen Tradition. Kindererziehung und Hausarbeit für die eigene Familie sind seit jeher unbezahlt und werden bis heute zu einem grossen Teil von Frauen geleistet. Im künstlerischen Kontext hatten Frauen lange kein Recht auf Autorinnenschaft, mussten Werke unter Pseudonym publizieren, oder Arbeiten wurden ihnen abgesprochen und männlichen Kollegen angerechnet.

Es ist eine Aussage, wenn eine Frau schriftstellerische Arbeit leistet, ohne Anspruch auf Autorinnenschaft, Honorar oder Umsatzbeteiligung. Grubenmann sagt dazu, Vivienne profitiere auch selbst von dieser Arbeit: «Sie kann durch die Protagonistin sprechen, sich ausdrücken, was ihr sonst schwerfällt.»

In der Tat, Grubenmanns Sprung auf die Meta-Ebene ist ein interessantes Stilmittel. Vivienne und Lukas sprechen gemeinsam über das Manuskript seines Fantasyromans. Vivienne macht Vorschläge für die Handlung und kann sich so durch die Protagonistin ausdrücken. Doch es ist eine Aussage, wenn eine Frau unbezahlte, nicht anerkannte künstlerische Arbeit leistet. Man kann es sich als Autorin noch so wünschen, aber das eigene Buch wird niemals grösser sein als die Geschichte.

«Ich will Instagram nicht grundsätzlich verurteilen. Aber je nach dem, wie man damit umgeht, kann es sehr schlecht sein.»

Olivia Grubenmann, Autorin 

Zwei Fallen in der Handlung

Am Ende der Lesung kann man sagen, es ist viel da. Eine junge Autorin, die ihr Handwerk beherrscht, die zielstrebig ihren Plan vom eigenen Roman verfolgt. Eine Handlung, mehrere lebendige Figuren und ein stilsicherer Ausdruck. Etwas anderes ist aber auch noch da. Es zeichnen sich Fallen ab.

Einerseits die Falle der reaktionären Frauenfigur und die Falle vom Millennial-Klischee. Das würde wohl den älteren Leserinnen und Lesern gefallen, weil sie ihre eigene Sicht auf die Jugend von heute bestätigt. Aber das Bild der verwöhnten, antriebslosen, unselbständigen und desorientierten Generation würde den Millennials nicht gerecht. Und dafür ist Grubenmann, talentierte, zielstrebige und fähige Autorin, selbst das beste Beispiel.

 

Der Denkraum

Der Denkraum ist eine Kooperation zwischen dem Museum Strauhof und dem Literaturhaus Zürich. Das Einzelbüro wird während drei Monaten einer Wissenschaftlerin, einem Forscher oder einer Autorin während jeweils drei Monaten zur Verfügung gestellt. Es befindet sich im Dachstock des Strauhofes in der Zürcher Altstadt.

 

Bisherige Gäste im Denkraum waren unter anderem Christof Moser (Journalist), David Iselin (Ökonom), Ruth Amstutz (Grafikerin und Kulturwissenschaftlerin), Carlo Spiller (Autor), Magaly Tornay (Historikerin). 

 


 

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