von Barbara Camenzind, 17.02.2020
Herzen im Dreivierteltakt
Edle Roben im strengen Industrieraum: Das Sinfonische Orchester Arbon feierte seinen 111. Geburtstag mit Festball und Konzert opulent im Presswerk.
„Komm mit mir zum Souper, es ist ganz in der Näh…“ Warum nach Wien reisen, wenn in Arbon der Orchesterball ansteht? Um die „Fledermaus“ weiter zu zitieren: „…“eh du in der stillen Kammer laborierst am Katzenjammer…“ konnte sich am vergangenen Samstag im Presswerk an einem rauschenden Fest vergnügen. Das Sinfonische Orchester Arbon, das Tanzorchester Odeon, die Tanzwerkstatt Arbon und das Tanzstudio Mary Inauen sorgten für einen Abend, der nichts ausliess.
Vor Suppé die Suppe: Mit einem hervorragend abgeschmeckten Rieslingsüppchen und würzigen Tartar-Ciabatta-Häppchen empfingen die Gastgeber ihre Ballgäste und versetzten sie zusammen mit dem fruchtigen, feinziselierten Hausweisswein schon fast in Champagnerlaune. Im ersten Moment wirkte der strenge alte Industrieraum etwas eigenartig im Kontext mit den opulenten Roben, die die Damen des Orchesters und die vielen Ballgäste trugen.
Suppés Werk passte massgeschneidert zum Orchester
Durch die warmen Klänge der Ouvertüre zur Komödie „Dichter und Bauer“ verwandelte sich dieser Kontrapunkt zu einer noblen Projektionsfläche. Es braucht keine habsburgischen Stukkaturen, wenn die Musik einem auf die Reise mitnimmt. Franz von Suppés viel zu selten gespieltes Werk passte massgeschneidert zum Orchester und seinem Dirigenten.
Das grosse Violasolo übernahm der Maestro gleich selber. Als „Stehbratscher“ verzauberte Leo Gschwend sein Publikum schon in den ersten Takten. Charmant und erdig klang das Instrument - und das Orchester reagierte fein und aufmerksam. Das war wohltuend jenseits von jeglichem André-Rieu-Kitsch.
Das Rokoko-Stüberl in der Seele
Mozarts Konzert in C, für Flöte und Harfe KV 299, bildete das Zentrum des Festprogramms. Obwohl es fachlich etwas quer zu der programmierten Tanzmusik stand, war es eine Freude, den beiden Solistinnen Yvonne Brühwiler an der Flöte und Julia Kreyenbühl an der Harfe zuzuhören.
Sie musizierten fast makellos auf einem gemeinsamen Atem: Gschwend hatte so keine Mühe, die heiklen Übergänge in die Tuttipartien zu führen. Es ist ein grosses, schwieriges Werk für Orchester, das diese Herausforderung aufmerksam und mit rundem Klang meisterte. Wer in seiner Seele ein kleines Rokoko-Stüberl pflegt, dem wurde beim Zuhören warm ums Herz.
Bilderstrecke: Szenen vom Festball am 15. Februar 2020 (alle Fotos: Hannah Camenzind)
Brittens Liebeserklärung an einen verfressenen Kollegen
Benjamin Britten machte den Gesangsfans an diesem Abend eine grosse Freude, obwohl gar nicht gesungen wurde. Seine Soirées musicales, die Suite Nr.1 basiert auf den „Serate musicali“ für Singstimme und Klavier von Gioacchino Rossini. Das ist feinziselierter italienischer Belcanto mit einem feurigen Schuss Bolero und versüsst durch eine freche Tirolerin im Satz „La pastorella delle alpi“.
Was für eine wunderbar weitergedachte Liebeserklärung von Britten an seinen verfressenen Kollegen. Der nicht nur mit seinen Opern, sondern auch mit den Tournédo Rossini, seinem Rinderfilet-Rezept berühmt wurde. Mutig warf sich das Orchester auf Brittens/Rossinis Schritte, Tritte und Sprünge. Dabei blieb da und dort die Intonation auf der Strecke, der Gesamteindruck war aber stimmig.
Die Tanzelevinnen verzaubern das Publikum
Alexander Glasunows Polonaise aus der Suite Op. 46, die „Chopiniana“, kennt jeder, der als Zaungast dem Wiener Opernball beiwohnt. Damit wird der Auftritt der Debütanten zelebriert. Am Orchesterball war dies der grosse Auftritt der kleinen und grossen Tanzelevinnen der Tanzwerkstatt Arbon. Was für ein Bild!
Abgezirkelt, präzise und anmutig schwebten die Tänzerinnen über den langen Catwalk. Manchmal ist weniger mehr: Die Choreografie von Rebecca Demierre-Stutz stellte die Körperpersönlichkeiten in den Vordergrund. Das Publikum wurde verzaubert und war vollends hingerissen, als das berühmte Hornmotiv des Donauwalzers erklang, welches die Ballerinas in rosa Wassernixen zu verwandeln schien. Was für eine berührende Darbietung.
Am Ende: Stehende Ovationen
Und liebes sinfonisches Orchester: Hut ab, vor der Leistung, diesen Strauss zu bringen. Die Tempowechsel erlebten wir als sehr gelungen, grosses Bravo! Und das mit der leicht nachgezogenen Drei beim Wiener Dreivierteltakt, das könnte ja ein erreichbares Fernziel sein. Stürmisch, „Unter Donner und Blitz“, mit Johann Strauss’ gleichnamiger Polka schnell, beschloss das Orchester sein festliches Programm mit Standing Ovations. Es hat gefallen.
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