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Von der Rastlosigkeit des Lebens

Von der Rastlosigkeit des Lebens
Der Fotograf Florian Schwarz | © FS

Die Geschichte der Menschheit ist die Geschichte von Wanderungsbewegungen. Eine von vielen Lehren einer aussergewöhnlichen Ausstellung des Fotografen Florian Schwarz in Kreuzlingen und Konstanz

Von Michael Lünstroth

Irgendwann im Herbst 2015 hält Florian Schwarz nichts mehr Zuhause. Er hat das Gefühl, raus in die Welt zu müssen, dorthin, wo gerade Geschichte geschrieben wird. Zuvor hatte der Fotograf im Fernsehen die Bilder von den Flüchtlingsströmen aus dem Nahen Osten nach Europa gesehen, hatte die Nachricht gehört, dass Ungarn sehr bald seine Grenzen für Flüchtlinge dicht machen würde. Am nächsten Tag sitzt er in einem Flugzeug nach Belgrad. Von dort fährt er weiter an die serbisch-ungarische Grenze, Schwarz wusste von einem letzten Schlupfloch für Flüchtlinge an einer Bahnlinie. „Es war etwa fünf Meter breit, das letzte Schlupfloch für tausende Menschen Richtung Westen. Unglaubliche Szenen haben sich da abgespielt“, erinnert sich Schwarz, 39 Jahre alt, an diese Momente. 

Spätestens da wird dem aus Konstanz stammenden Fotografen klar, dass eines seiner nächsten Projekte sich mit dem Thema Migration befassen wird. Und so kommt es nun. Die ab 25. Mai im öffentlichen Raum in Kreuzlingen (passenderweise am Hauptzoll) und Konstanz zu sehende Ausstellung „Nicht Anfang und nicht Ende“ nimmt sich dieses Themas an, aber anders als es auch Schwarz vor drei Jahren dachte. Nicht die grossen Fluchtbewegungen aus Kriegsgebieten wie Syrien stehen im Mittelpunkt (die hatte er in einem früheren Projekt schon behandelt), sondern die Migration innerhalb Europas. „Das ist ein Aspekt, der in der Gesamtbetrachtung des Themas zuletzt wenig beachtet wurde. Mich hat das aber interessiert: Wie steht es um die Migration innerhalb Europas?  Wer wandert wohin und warum? Und was macht das mit den Menschen?“, erklärt Schwarz die Hintergründe seiner aktuellen Arbeit.

Er reist tausende Kilometer quer durch Europa. Ohne Flugzeug.

Um das herauszufinden war er in den vergangenen fast zwei Jahren tausende Kilometer quer durch den Kontinent unterwegs: Einmal von Westen nach Osten, einmal von Norden nach Süden. Alles auf dem Landweg. Ohne Flugzeug. In Etappen ging es von der rumänischen Schwarzmeerküste bis zur portugiesischen Atlantikküste und von Nord-Norwegen bis nach Kreta. „Ich wollte wissen, wie das heutige Europa aussieht und wie es sich anfühlt“, sagt der 39-Jährige. An diesen „geografischen Eckpunkten“ seiner Reise hat er nach Geschichten gesucht - und etliche gefunden. 

In Rumänien war er unterwegs mit Menschen, die in Kleintransportern Richtung Westen reisen. Auf der Suche nach Arbeit. In Portugal hat er eine Romafamilie begleitet, die gerade zwangsweise umgesiedelt wurde, in Norwegen zog er mit den Samen, den Ureinwohnern Nordskandinaviens, wenn man so will, zu den Sommerweidegründen ihrer Tiere und auf Kreta traf er einen deutschen Aussteiger, der in einer alten Hippie-Höhle lebt. Entstanden sind an allen vier Orten aussergewöhnliche Geschichten, die Florian Schwarz nun in berührenden Fotos dokumentiert. Die Ausstellung ist eine Mischung aus Porträts und Reiseaufnahmen. „Die Idee in der Konzeption der Ausstellung ist, dass der Betrachter visuell meiner Reise folgen kann“, erklärt Florian Schwarz. Möglich wurde das Projekt durch die Förderung der Städte Konstanz und Kreuzlingen und Stiftungen wie der Kulturstiftung des Kantons Thurgau.

Auf der Suche nach Europa: Zwei der Fotografien, die in der Ausstellung "nicht Anfang und nicht Ende" von Florian Schwarz ab 25. Mai in Kreuzlingen und Konstanz zu sehen sind.

Auf der Suche nach Europa: Zwei der Fotografien, die in der Ausstellung "nicht Anfang und nicht Ende" von Florian Schwarz ab 25. Mai in Kreuzlingen und Konstanz zu sehen sind. Bilder: Florian Schwarz 

Die Kamera entdeckt Florian Schwarz erst spät für sich 

Dass Florian Schwarz überhaupt mal Fotograf werden würde, war lange nicht abzusehen. "Ich habe mich damit nicht beschäftigt, weil ich nicht dachte, dass es mir gefallen würde", erzählt der 39-Jährige. Erst im Frühsommer 2003 hatte er, mehr aus Langeweile als aus Berufung, einen Fotoapparat in der Hand. "Das war eine alte Minolta meiner Mutter. In einem Fotogeschäft musste ich mir erstmal zeigen lassen, wie man da einen Film einlegt", erinnert sich Schwarz. Heute, zehn Jahre später, kann er sich nicht vorstellen, die Kamera jemals wieder aus der Hand zu geben. "Fotografie ist meine Sprache", sagt er. Es habe eben ein bisschen gedauert bis er sie gefunden habe. Sein Studium der Fotografie hatte Schwarz danach an der Königlichen Kunstakademie Antwerpen absolviert, später folgte ein Dokumentarfilmstudium in Schottland - am Edinburgh College of Art.

Gelernt hat der Künstler das Handwerk noch auf die klassische analoge Art. Die Entwicklung der Bilder, der Geruch der Chemikalien, das sei doch eine ganz greifbare Welt, findet Schwarz. Er sagt, ihm sei die körperliche Auseinandersetzung mit dem Bild wichtig. Schwarz ' Fotografien sind intensiv. Manchmal ganz nah dran, manchmal auch etwas zurückgenommen, aber sie lösen beim Betrachter immer etwas aus. "Ich arbeite wenig konzeptionell, sondern mehr aus dem Bauch heraus. Es ist diese instinktive Haltung zur Fotografie, die mich interessiert", erklärt der gebürtige Konstanzer seinen Arbeitsstil. Kompromisslos ist ein anderes Wort, das fällt, wenn Schwarz über seine Arbeit spricht. Halbe Sachen sind sein Ding nicht. ,Wenn ich etwas mache, dann mache ich es richtig. Sonst kann man es ja gleich lassen", sagt der 39-Jährige. Diese Haltung kann man sehr gut an seinen Projekten (siehe Kasten am Ende des Textes) ablesen. Es geht bei ihm fast immer um die Begegnungen von Menschen.

Im Kern geht es bei Schwarz immer um die Frage des Mensch-Seins

Seine erste grössere Arbeit, noch während des Studiums, verschlug ihn nach Honduras. Über eine Non-Profit-Organisation hatte er Kontakt zu einem Resozialisierungsprojekt von Strassenkindern in einem Bergdorf in Honduras bekommen. Jungs von 5 bis 17 Jahren lebten dort. Schwarz arbeitete ein halbes Jahr mit den Waisenkindern, fotografierte sie in ihrem Alltag und liess sie auch selber mit Einwegkameras knipsen. "Mich hat daran vor allem das partizipatorische Element gereizt. Ich wollte den Kindern eine Stimme verleihen, durch ihre eigenen Fotos", erläutert Schwarz. Finanziert hatte er den Aufenthalt über ein Stipendium. Unter dem Titel "Is there a monster living under my bed’' (Lebt ein Monster unter meinem Bett?) entstand ein Künstlerbuch zu dem Projekt.

Inzwischen muss er nicht mehr ganz weit weg in die Welt, um Themen für seine Arbeit zu finden. Das Europa-Projekt war ihm jetzt ein Herzensanliegen, „weil es für viele so selbstverständlich ist, dahin gehen zu können, wo sie wollen. Die Wahrheit aber ist - für viele Menschen auch in Europa ist das aber überhaupt nicht so einfach. Die Freiheit dahin gehen zu wollen, wo man will, hat selbst auf unserem kleinen Kontinent nicht jeder“, sagt der Fotograf. Über die Frage, ob er diesem Europa auf seiner Reise denn nun ein Stück näher gekommen sei, muss er nicht lange nachdenken. „Ja“, sagt der 39-Jährige, „an allen Orten bin ich mit grosser Offenheit empfangen worden. Wer das mal erlebt hat, der blickt mit anderen Augen auf die Menschen. Je länger ich unterwegs war, umso mehr hatte ich das Gefühl, dass wir alle doch mehr miteinander zu tun haben, als viele Leute heute oft denken.“ Nicht die schlechteste Botschaft in diesen unruhigen und zur Spaltung neigenden Zeiten. 

Termin: Die Ausstellung „nicht Anfang und nicht Ende“ wird am Freitag, 25. Mai, 18 Uhr, am Hauptzoll am Kreuzlinger Tor (Hauptstrasse 2) eröffnet. Weitere Arbeiten sind ab 26. Mai auch an der Konzertmuschel im Stadtgarten Konstanz und an der Aussenfassade des Mensagebäudes der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Gestaltung (HTWG, Alfred-Wachtel-Strasse 28) in Konstanz zu sehen.

 

Schwarz' Kosmos: Überblick über frühere Arbeiten des Fotografen

Auf den Spuren seines Grossvaters: Für seine Diplomarbeit reiste er elf Wochen lang auf den Spuren seines Grossvaters - von Süddeutschland nach Sibirien. Im Zweiten Weltkrieg hatte Schwarz ' Opa diesen Weg auch machen müssen. "Ich hatte dieses alte Bild von meinem Opa gefunden in Wehrmacht-Uniform. Danach wollte ich immer mehr wissen und forschte weiter nach", sagt Schwarz. So gelang es ihm den Weg seines Grossvaters nachzuzeichnen.

 

Unterwegs mit einem Musiker: Mehr als drei Jahre lang begleitete er den Country-Musiker Brent Cunningham in Nashville. Cunningham, ein Amerikaner mit indianischen Wurzeln, hatte den jungen Fotografen so sehr fasziniert, dass er sich, wie er es selbst nennt, auf "das wohl kompromissloseste Projekt" seines bisherigen Schaffens einliess. Am Ende dieser kräftezehrenden Arbeit hatte Schwarz das Gefühl mit dem Medium Fotografie an eine erzählerische Grenze gestossen zu sein. 

 

Zwischen Himmel und Erde: 2014 und 2015 war mit seinem Projekt "deep dark pale blue" rund um den Globus unterwegs. Chile, USA, Südafrika, Teneriffa, Australien waren die Ziele seiner Reise. In all diesen Orten hat er Sternwarten besucht und die Regionen dort porträtiert. Dabei ging es ihm nicht nur um den Nachthimmel der Orte, sondern auch um eine soziale Dimension. "Wir haben inzwischen die Möglichkeit weit entfernte Galaxien zu beobachten, aber was wissen wir eigentlich voneinander? Über das Leben der Menschen, die verschiedenen Kulturen und Umgebungen in denen wir leben?" umschreibt Schwarz den Ansatz dieses Projekts. Sein Leitmotiv bei der Arbeit lautete: "Je weiter wir die unendlichen Weiten des Weltalls erforschen, um so mehr denken wir darüber nach, was es bedeutet, Mensch zu sein." Schwarz will einen Bezug herstellen zwischen dem grossen Makrokosmos im All und unserem kleinen Mikrokosmos in unseren Leben 

 

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florian-schwarz.net

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