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Die Brückenbauerin

Die Brückenbauerin
Vermitteln und erklären gehört zu ihren grossen Stärken: Die Musikerin Simone Keller. Hier bei ihrem Projekt «Music of cages» in der Komturei Tobel. | © Sascha Erni

Lohn für engagiertes künstlerisches Schaffen: Die Musikerin Simone Keller wird in diesem Jahr gleich zweifach von der Internationalen Bodenseekonferenz ausgezeichnet. 

„Ich freue mich riesig, dass ich aus den vielen bestimmt auch preiswürdigen Nominationen ausgewählt wurde“, schreibt die aus dem Thurgau stammende Pianistin Simone Keller auf ihrem Facebook-Profil. Diese Freude bezieht sich auf gleich zwei Preise, die sie von der Internationalen Bodenseekonferenz erhalten hat. Zum einen ist sie eine von insgesamt sieben IBK-Förderpreis-Gewinnerinnen (jeweils dotiert mit 10 000 Franken), zum anderen hat eine Jugendjury ihr einen weiteren IBK-Preis (dotiert mit 5000 Franken) verliehen. Ebenfalls ausgezeichnet wurden die Musiker und Musikerinnen Irina Ungureanu, Brigitte Helbig, Moritz Müllenbach, Céline Monique Jeanne Papillon, Lukas Stamm und Mateusz Szcepkowski.

Dass Simone Keller überhaupt in der Musik gelandet ist, war so auch nicht unbedingt zu erwarten. Sie ist gross geworden auf einem Bauernhof in der ländlichen Region um Weinfelden. Musik spielte da keine Rolle, ihre Eltern hatten keinen Bezug zu dieser Welt. „Ich war auch eher ein ruhiges Kind, habe lange kaum gesprochen“, blickt die Pianistin zurück. Irgendwann erklärt sie ihren Eltern dann aber, dass sie Musik machen möchte. Die tragen es mit Fassung und ermöglichen der Tochter, was machbar ist. „Dafür bin ich ihnen heute immer noch dankbar“, so Keller. 

„Alte Musik, neue Musik, für mich war immer beides gleich aufregend.“ 

Simone Keller, Pianistin 

Nach der Matura in Kreuzlingen entschliesst sie sich zu einem Studium. Und so beginnt sie ihre Ausbildung in der Konzertklasse von Hans-Jürg Strub und der Liedklasse von Daniel Fueter und Hans Adolfsen an der Zürcher Hochschule der Künste. Daneben nimmt sie Orgel- und Hammerflügelunterricht und besucht Meisterkurse bei Andrzej Jasinski, Siegfried Mauser, Karl Engel und Hartmut Höll. Simone Keller arbeitet hart an sich. Gewinnt erste Preise und Stipendien. Spielt Konzerte in der Schweiz, aber auch in vielen anderen Ländern.

Inzwischen hat sie sich einen Namen gemacht als Künstlerin mit einem Faible für Neue Musik. Das liegt auch daran, dass sie immer wieder Werke zeitgenössischer Komponistinnen und Komponisten uraufführt. Simone Keller hat das für sich nie so wahrgenommen, dass sie nur auf Neue Musik gebucht ist. „Alte Musik, neue Musik, für mich war immer beides gleich aufregend. Weil ich total unberührt zur Musik kam, gab es diese Unterscheidung für mich eigentlich nie. Ich habe eine grundsätzliche Offenheit für interessante Musik“, sagt sie.

Sie will Menschen den Zugang zu klassischer Musik ermöglichen

Es ist nicht der einzige Punkt, in dem sie ihre Herkunft geprägt hat. Neben der eigenen künstlerischen Arbeit widmet sich Simone Keller auch verschiedenen soziokulturellen Vermittlungsprojekten. Weil sie selbst so um den Zugang zur Musik gekämpft hat, will sie diesen Weg auch anderen eröffnen. Mit Vorliebe solchen Menschen, die bislang eher Vorbehalte gegenüber klassischer Musik haben. Zum Beispiel in dem Projekt „Piccolo Concerto Grosso“, das sie 2014 gemeinsam mit dem Regisseur und Komponisten Philip Bartels ins Leben gerufen hat. 

Hinter dem Namen verbirgt sich eine Musikwerkstatt für Schulklassen mit einem hohen Migrationsanteil und Seniorinnen und Senioren. Diese beiden Gruppen treffen in dem Projekt aufeinander. Ohne musikalische Vorbildung improvisieren und komponieren sie gemeinsam, lernen verschiedene Musikstile kennen und erarbeiten in Zusammenarbeit mit einem professionellen Musikensemble ein grosses Schlusskonzert. Die Integrationsleistung des Projektes hat sich inzwischen bis nach Deutschland herumgesprochen: Im vergangenen Jahr war „Piccolo Concerto Grosso“ für den Junge Ohren Preis nominiert, musste sich letztlich aber dem Rundfunkchor Berlin geschlagen geben.

Bei der Arbeit: Die Pianistin Simone Keller vor einem Konzert. Bild: zVg

Direkte Begegnungen helfen dabei, Vorurteile abzubauen

Auch in anderen Vorhaben kümmert sich die Pianistin um die Randständigen unserer Gesellschaft - um Erwerbslose, Menschen mit geistigen Beeinträchtigungen und Flüchtlinge. Was allen Projekten gleicht: die Musik soll die Menschen zusammenbringen. Das Verständnis füreinander wächst danach beinahe automatisch. Weil direkte Begegnungen immer dabei helfen, Vorurteile abzubauen. 

Ein Prinzip, das sich auch bei ihrem jüngsten Projekt „Music of Cages“ zeigte: Im vergangenen März luden Simone Keller und Philip Bartels vom Kollektiv ox&öl in die Komturei Tobel zu einem aberwitzigen Projekt: 8 Künstlerinnen und Künstler aus verschiedenen Disziplinen erarbeiten mit mehr als 70 Schülerinnen und Schülern der Sekundarschule Müllheim gewissermassen eine moderne Vision von Cages Komposition.

Eine Woche lang dauerten die Proben dafür, am Ende entstand ein Werk, in dem auch viel Platz für eigene Improvisationen und Kompositionen der Schüler blieb. „Die Schüler sind das Projekt, John Cage ist die Inspiration“, fasste Simone Keller den Rahmen von „Music of Cages“ zusammen. 

„Ich glaube, meine Herkunft als Bauernkind verschafft mir oft einen anderen Zugang zu den Menschen.“

Simone Keller 

Fragt man Simone Keller, woher ihr Talent zur Vermittlung kommt, dann muss sie über eine Antwort nicht lange nachdenken. „Ich glaube, meine Herkunft als Bauernkind verschafft mir oft einen anderen Zugang zu den Menschen. Ich habe das Gefühl, sie hören mir im Wissen um meinen Hintergrund anders zu, als wenn ich aus einer reinen Musikerfamilie stammte “, erklärt Simone Keller. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass sie sich diesen Zugang zur Musik ganz allein erarbeiten musste. Darin liegt auch eine grosse Kraft. Denn: Wer sich selbst begeistern kann, kann es auch bei anderen.

Videobeitrag von arttv.ch über die Arbeit von ox&öl

Der IBK-Förderpreis

Die Förderpreise der IBK werden seit 1991 jährlich in wechselnden Sparten verliehen. Es können sieben Preise in der Höhe von jeweils 10 000 Franken vergeben werden. Ausgezeichnet werden Personen im Alter bis zu 40 Jahren mit einem herausragenden Potential im jeweiligen Kulturbereich. Verantwortlich für die Förderpreisvergabe ist die Kommission Kultur der IBK. Durchgeführt wurde die diesjährige Jurierung vom Kulturamt des Kantons Thurgau. Der Kanton Thurgau hat in diesem Jahr den Vorsitz der IBK inne. 

 

Die Nominierungen: Jedes Mitgliedsland der IBK – Baden-Württemberg, Bayern, Liechtenstein, Vorarlberg, die Kantone St. Gallen, Thurgau, Schaffhausen, Zürich sowie Appenzell Ausserrhoden und Appenzell Innerrhoden zusammen – hat unter Beizug von ausgewiesenen Fachleuten maximal zwei Nominationen vorgeschlagen. Die Nominierten müssen einen biographischen Bezug zum jeweiligen Kanton oder Bundesland aufweisen. Eine von den Mitgliedsländern und Mitgliedskantonen gewählte internationale Jury von neun ausgewiesenen Expertinnen und Experten hat die Preisträgerinnen und Preisträger ausgewählt. 

 

Die Jury: Wird jedes Jahr neu zusammengesetzt, da jedes Jahr in einer anderen Sparte Preise vergeben werden. Jeder Kanton/Land entsendet eine Person in die Jury. In diesem Jahr sassen in der Jury Christine Fischer (Intendantin „Musik der Jahrhunderte Stuttgart), Moritz Eggert (Komponist, Musiker), Silvia Thurner (Musikjournalistin), Barbara Camenzind (Sängerin, Journalistin, Komponistin, thurgaukultur-Autorin), Helena Winkelmann (Musikerin/Komponistin), Charles Uzor (Musiker, Komponist), Andrea Wiesle (Musikerin, Musikwissenschaftlerin), Jens Schuppe (Künstlerischer Leiter Collegium Novum Zürich), Alfred Achberger (Musiker, Leiter Konzertreihe „Klangfest“); Vorsitz: Martha Monstein (Leiterin Kulturamt Thurgau) 

 

Die Jugendjury: 2019 hat die IBK-Projektgruppe Jugendengagement erstmalig eine zusätzliche Jury aus jungen Erwachsenen eingerichtet. Diese konnte unter allen Nominationen einen zusätzlichen Preis in Höhe von 5 000 Schweizer Franken vergeben. Die Jugendjury hat sich für Simone Keller, nominiert vom Kanton Thurgau, entschieden. 

 

Die Preisverleihung: Die Übergabe der Förderpreise findet am Mittwoch, 6. November 2019, ab 18.30 Uhr in der Kartause Ittingen statt. Zur Preisverleihung erscheint eine Publikation über die Preisträgerinnen und Preisträger mit Musikdateien.  

 

 

 

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