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Der Kampf der Künste

Der Kampf der Künste
"Die Dinge der Woche" sind der Blog des Thurgaukultur-Redaktionsleiters Michael Lünstroth | © Anja Arning

In der Hierarchie der Künste hatte es die Elektromusik oft schwer. Ein Gerichtsturteil aus Berlin rüttelt an diesem Verständnis. Endlich, findet Thurgaukultur-Redaktionsleiter Michael Lünstroth 

Es kommt im Leben schon mal vor, dass man Entscheidungen in Bereichen treffen muss, von denen man eigentlich keine Ahnung hat. Will ich Kinder? Soll ich heiraten? Und ist es wirklich klug, die Waschmaschine jetzt selbst zu reparieren? In diese Kategorie fällt auch eine Entscheidung des Finanzgerichts Berlin-Brandenburg aus dem vergangenen Jahr. In einem Streit zwischen dem Berliner Club Berghain und den Finanzbehörden hat der zuständige Richter entschieden, dass Technomusik ab sofort ebenso Kultur ist wie ein Sinfoniekonzert. In Bildungsbürger-Ohren mag das zunächst erschreckend klingen, aber wer wollte wirklich einem Finanzgericht in kulturellen Fragen widersprechen? Eben. Verhandelt wurde die Angelegenheit dort, weil es im Kern eben auch um eine finanzielle Entscheidung ging: Durch den Richterspruch gilt für das Berghain nun der ermässigte Umsatz-Steuersatz von 7 Prozent. Bislang musste der Club 19 Prozent abführen.

Dass es so kommen würde, konnte ahnen, wer die Argumente der Berliner Finanzbehörden gehört hatte, weshalb die DJ-Auftritte keine musikalischen Darbietungen von künstlerischer Bedeutung seien. Demnach handele es sich nicht um ein Konzert, weil es beispielsweise keine Bühne gebe. Und: Die Musik habe keinen Anfang und kein Ende, das Publikum klatsche nicht und man könne zuvor keine Eintrittskarten kaufen. Puh. Wenn es danach ginge, dann könnte aber noch so manche kulturelle Darbietung ihren Status verlieren.

Das Urteil hat darüber hinausreichende Konsequenzen. Sind DJ-Sets jetzt wirklich Konzerte? Sind die Damen und Herren hinter den Turntables am Ende gar so etwas wie Dirigenten? Was verändert das am Kräfteverhältnis der Künste? Der Anwalt des Nachtclubs jedenfalls vertrat die Ansicht, dass die DJs im Berghain nicht einfach nur Platten auflegen, sondern neue Musik kreieren. Und ihre Darbietungen deshalb von künstlerischer Bedeutung sind. Das ist ja in der Tat ein interessanter Gedanke. Eigentlich erstaundlich, dass es bis 2016 gedauert hat, bis das mal festgestellt wurde. Jahrelang wurde die elektronische Musik doch eher milde belächelt. Das Gefrickel an den Musikmaschinen galt gerade vielen Feuilletonisten als irgendwie unfein. Wer die akribische Herangehensweise an die Arbeit von künstlerisch ambitionierten DJs wie Stephan Bodzin kennt, konnte das schon immer als ungerecht empfinden. Gut, wenn sich da jetzt etwas dreht. Übrigens: Wer Stephan Bodzin mal live sehen will, der hat am 27. Mai die Gelegenheit dazu. Dann legt der Bremer auf dem Festival "Gute Zeit" in Konstanz auf. 

Kommen Sie gut durch diese Woche.

P.S: Die Dinge der Woche machen ein bisschen Ferien. Die nächste Ausgabe der Kolumne erscheint am 12. Juni.

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