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Geschichten aus Stoff

Geschichten aus Stoff
"Geschichte endet nicht": Alexandra M. Rückert, Kuratorin des Historischen Museum Bischofszell vor der Eingangstür des Hauses. | © Michael Lünstroth

Ein 500 Jahre alter Wandteppich ist das Prunkstück der aktuellen Ausstellung des Historischen Museum Bischofszell. Längst nicht alle Rätsel um ihn sind gelöst

Von Michael Lünstroth

Ein Wimmelbild ist ein Bild auf dem es nur so von Details, Menschen, Tieren und Dingen wimmelt. Man muss unweigerlich daran denken, wenn man vor diesem fast drei Meter breiten und fast zwei Meter hohen Wandteppich im Historischen Museum Bischofszell steht. Denn auch auf ihm wimmeln sich die Szenen, Momente und Bilder. Krieger mit ihren Waffen, Badende in Thur und Sitter, Bauersleute mit ihren landwirtschaftlichen Geräten, Marktleute, eine gesellig feiernde Tischrunde unter der Linde, ein Reiter mit seinem Pferd in der Schwemme und vieles mehr. Wenn man so will, dann ist das hier vielleicht das älteste textile Wimmelbild der Welt. Die grossformatige Stickerei vermittelt einen Einblick in das Leben im Bischofszell von vor mehr als 500 Jahren und gilt sogar als das erste Bild der Kleinstadt überhaupt.
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Der Wandteppich ist das Prunkstück der aktuellen Ausstellung „Bischofszell. Städtisches Leben im Spätmittelalter" im dortigen Historischen Museum. Aus den Beständen des Historischen Museum Basel ist der Teppich zum ersten Mal seit 30 Jahren wieder in der Stadt zu sehen, die er abbildet. „Der Wandbehang war uns Ideengeber für die diversen Themen der Ausstellung", sagt Alexandra M. Rückert, Kuratorin des Bischofszeller Museums. Die Schau ist der wohl wichtigste Beitrag des Kantons zum Konstanzer Konziljubiläum in diesem Jahr. Der Bezug zur deutschen Bodenseestadt ist auf mehreren Ebenen gegeben. Der jeweils amtierende Bischof von Konstanz regierte damals Bischofszell durch die Hand eines eingesetzten Vogtes, der Wandteppich selbst könnte in der Konzilstadt entstanden sein und es gab vielfältige Beziehungen zwischen beiden Städten.

Das erste Wimmelbild der Geschichte? Der Bischofszeller Wandteppich ist das Prunkstück der aktuellen Ausstellung des Historischen Museum BischofszellDas erste Wimmelbild der Geschichte? Der Bischofszeller Wandteppich ist das Prunkstück der aktuellen Ausstellung des Historischen Museum Bischofszell. Bild: Historisches Museum Basel

Die Ausstellung bespielt nun mehrere Räume des altehrwürdigen Hauses - das Museum besteht aus zwei denkmalgeschützten Häusern aus der Mitte des 18. Jahrhunderts. Allgemein gesprochen geht es, wie der Titel schon sagt, um das Leben im spätmittelalterlichen Bischofszell. Von der zunehmenden Bautätigkeit durch die Wirtschaftsblüte über typische Wohn- und Lebenssituationen der Menschen damals, Geschichten zur Leinwandherstellung sowie solchen zu den Herrschaftsverhältnissen bis hin zu Exkursen zur Sakralmusik im Bodenseeraum und eben jenem grossen Wandteppich, der mutmasslich irgendwann zwischen 1510 und 1525 gestickt wurde.

Es gibt viele Vermutungen, aber nur wenig Beweise

Der Stoff bietet jedenfalls allerlei Geschichten, es ranken sich viele Erzählungen um ihn. Was stimmt, was nicht, die Wissenschaft kann es noch nicht in jedem Detail sicher sagen: „Es gibt viele Vermutungen, aber wenig Beweise rund um den Teppich", erklärt Alexandra Rückert. Was man weiss, ist in der Ausstellung und dem Begleitheft dokumentiert. Der Teppich gelangte demnach 1873 für 900 Franken nach Basel. Über die früheren Standorte, die Werkstatt und den Auftraggeber ist nichts bekannt. Das Wappen auf dem Bergfried weise aber auf den Stadtherren, den damaligen Bischof von Konstanz, hin. Zu sehen ist die Stadtansicht um 1507 von Nordwesten her. Die wichtigsten kirchlichen und weltlichen Gebäude sind vergrössert und zum Teil gedreht festgehalten.

Alexandra Rückert ist seit August 2013 Leiterin des von einer Museumsgesellschaft getragenen Bischofszeller Hauses und versucht das Museum Stück für Stück zu modernisieren. Ihr wichtigstes Motto dabei: „Geschichte endet nicht, es hat immer auch mit uns heute zu tun." In diesem Sinne hat sie schon einen Teil der Dauerausstellung überarbeitet, der zuvor fast 40 Jahre unverändert geblieben war. Jetzt nun diese Ausstellung mit der Rückert auch neue Besucher für ihr Haus gewinnen will. Das kann man auch an der verständlichen und klaren Sprache der Texttafeln und dem breiten Rahmenprogramm (nächste Veranstaltung am 1. Juni mit einem szenischen Rundgang durch die Ausstellung) erkennen. Erzählt ist das Thema allerdings eher konventionell über Funde in Vitrinen und eben Texttafeln. Wer sich nicht ohnehin für die Geschichte interessiert, findet alleine in der Schau nur wenig Anknüpfungspunkte. Auch deshalb empfiehlt es sich, die Ausstellung in einer Führung oder in Kombination mit einer Veranstaltung aus dem Rahmenprogramm zu besuchen.

Treppenhaus im Historischen Museum Bischofszell. Die Ausstellung zum Leben im Spätmittelalter erstreckt sich über alle Etagen des Museums.Treppenhaus im Historischen Museum Bischofszell. Die Ausstellung zum Leben im Spätmittelalter erstreckt sich über alle Etagen des Museums. Bild: Michael Lünstroth

Neben dem 500 Jahre alten Wandteppich gibt es auch kleinere und weniger spektakuläre Exponate zu sehen, die einem trotzdem die Alltagswelt des Spätmittelalters nahe bringen. Wie eine alte Maultrommel, die Archäologen in der Ruine Anwil (Kradolf-Schöneberg) gefunden haben, ein kleiner Würfel aus der St. Michaelskapelle Bischofszell oder ein alter Löffel, der im Boden rund um das Bischofszeller Schloss ausgegraben wurde. Grösse, auch das lehrt diese Ausstellung, ist eben doch nicht alles.

Öffnungszeiten und Ausstellungskatalog

Überblick: Die Ausstellung ist bis zum 3. Dezember 2017 zu sehen. Geöffnet: Jeden Sonntag, 14 bis 17 Uhr, und jeden letzten Donnerstag des Monats, 18 bis 20 Uhr. Das Jahresprogramm des Historischen Museum Bischofszell gibt es hier:

http://www.museum-bischofszell.ch/htm/Jahresprogramm_2017.pdf

 

Weiterlesen: Wer mehr über den Wandbehang wissen will: Das Historische Museum Basel hat einen kleinen Katalog dazu heraus gegeben. Er ist in der Reihe "Basler Kostbarkeiten" als Band 34 erschienen. Autorin ist Margret Ribbert

 

 

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